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Sommerfeld: Zur Psychologie des Mediums.
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herumkritisieren, selbst aber nichts Neues hervorzubringen
vermögen.
Unsere Gesellschaft wird nach wie vor ihre Hauptaufgabe
darin erblicken, die sog. okkulten Erscheinungen zunächst
auf ihre Echtheit kritisch zu prüfen und sie, wenn irgend
möglich, selbst experimentell hervorzubringen; dann aber
vor allem sie in jeder Hinsicht möglichst eingehend zu
studieren und nach Prinzipien zu suchen, die geeignet sind,
sie zu erklären, und damit unsere Auffassung vom Wesen
des Menschen und seiner Fähigkeiten entsprechend zu erweitern
und zu ergänzen. Wir glauben, daß durch eine derartige
vorsichtige, aber positive wissenschaftliche Arbeit
auf diesem Gebiet der Allgemeinheit mehr gedient ist als
damit, daß man alle die merkwürdigen Dinge, die hierher
gehören, für Täuschung tind Betrug erklärt, und daß es
höchste Zeit ist, daß auch bei uns in Deutschland sich die
Wissenschaft ernstlich mit diesen Dingen befaßt.
Zur Psychologie des Mediums.
Von F, Sommerfeld, Berlin.
Das Seelenleben des Mediums ist von dem des bewußt
schaffenden Künstlers wie von dem des Normalmenschen
nicht prinzipiell, sondern nur graduell verschieden. Dieselben
psychischen Mächte, die den Künstler zur GestaJ
tung seines Werkes drängen, veranlassen die scheinbar
„überirdischen" Aeußerungen der medialen Begabung, nur
mit dem Unterschiede, daß der Künstler vermöge der Kritik
seines Bewußtseins fähig ist, eine sowohl ethisch als
auch künstlerisch weit höher stehende Stufe seines Könnens
zu erreichen als das Medium. Bei näherer Betrachtung
finden wir auch im Seelenleben des normalen Menschen
Ansätze und Analogien zu den medialen Leistungen. Dies
ist ja auch ganz natürlich, wenn wir bedenken, daß jedes
menschliche Individuum aus dem großen Speicher des Unbewußten
schöpfen muß.
Wir wissen, nach Freud, daß hier unsere Triebe, An
lagen und Begabungen ruhen, sowie die alten, aus dem Be
wußtsein verbannten Erinnerungsreste. Unsere Wünsche,
denen die Realität nicht gerecht werden kann, werden ins
Unbewußte verbannt, drängen aber immer wieder an die
Schwelle des Bewußtseins. Ja, wir wissen sogar, daß das
Unbewußte in einem überindividuellen Zusammenhang mit
der Kulturgeschichte steht, und Anteil hat an der großen,
historischen Entwicklung der Völker. So liegt in unserem
Unbewußten ein altes, menschliches Gemeingut aufge-
speichert.
Manche Geistererscheinungen, die von den Spiritisten als
überirdische Vorgänge gedeutet werden, lassen sich auf
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