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Psychische Studien. XLVIII. Jahrg. 12. Heft. (Dezember 1921.)
diese Quelle zurückführen. Nehmen wir beispielsweise jenes
Phänomen, das man mit dem Namen „dejä vu" bezeichnet.
Wir glauben, Menschern oder Gegenden zum ersten Male
zu sehen, und kennen sie doch ganz genau. Irgendwo haben
haben wir sie schon einmal gesehen. Hier setzt jenes „ge
heime Gedächtnis der Seele" ein. Wir nehmen viele Eindrücke
in uns auf, die uns nicht bewußt sind, deren Erinnerung
aber unbewußt in unserer Seele lebt. Vielleicht
sind es vergessene, und damit unbewußt gewordene Kindheitserinnerungen
, oder auch die Erfahrung der Vorfahren
birgt sich als Bild eines vergangenen Lebens in unserem
Unbewußten, um jetzt sichtbare Gestalt anzunehmen. Freud
erwähnt eine Reihe solcher Fälle in seiner „Traumdeutung".
Wir sehen, daß alle diese Vorgänge nichts mit dem Ueber-
sinnlichen zu tun haben, uns wohl aber Aufschluß geben
können über den psychischen Zusammenhang zwischen
Mensch und Welt.
Wird eine Vorstellung absichtlich aus dem Bewußtsein
verdrängt, so bleibt immerhin noch die Gedächtnisspur wie
auch der sie begleitende Affekt bestehen, und kann bei derart
disponierten Personen zu großen Schädigungen führen.
Nervöse Menschen erkranken an ihrem unbewußten Vorstellungsmaterial
. Die aus dem Bewußtsein verdrängte,
peinliche Vorstellung kommt in den Träumen, Tagträumen,
hysterischen Krampfanfällen wieder zum Vorschein. Der
Gedanke erscheint aber in «ein Bild verwandelt, oder —
bei der Hysterie — in ein körperliches Symptom. Wir
haben hier einen ganz ähnlichen Vorgang wie bei den
medialen Kunstleistungen, die ebenfalls gewissermaßen
dramatisierte Gedanken darstellen, welche aus der Psyche
stammen.
Freud hat tins gezeigt, daß in erster Linie unerfüllte
Wunschregungen und Eindrücke aus der Kinderzeit verdrängt
werden, und so in den großen Speicher des Unbewußten
sinken. Die Macht der Kindheitserinnerungen
ist ungeheuer groß, und oft für das ganze Leben bestimmend.
Im Trancezustand, ebenso wie im Traum und in der Hypnose
gelangt das Unbewußte an die ©berfläche. So geschieht
es häufig, daß Medien im somnambulen Schlaf eine
fremde Sprache sprechen, von der sie angeblich nach dem
Erwachen nichts wissen. Es handelt sich dabei um unbewußte
Kenntnisse, die sie sich in ihrer Kindheit oder
frühen Jugend erworben haben. Sie haben einzelne Brocken
der fremden Sprache aufgenommen und scheinbar vergessen.
So z. B. sprach eine ältere, einfache Frau aus dem Volke
im Trance auf einmal Sanskrit. In diesem Fall stellte es
sich heraus, daß die Frau als vierzehnjähriges Mädchen
in der Familie eines Gelehrten diente, der Sanskritschriften
besaß. In diesen Schriften hatte sie geblättert, einige San-
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