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6 Psychische Studien. XLIX. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1922.)
und vereinigen sich wieder zu neuen Stoffen. Bei den organischen
Korpern, in der organischen Chemie, tritt uns ein
neueb Reich naturgesetzlichen Schaffens entgegen, in welchem
die Methoden und Mittel der anorganischen Chemie
nicht mehr ausreichen zur Erkenntnis und Beherrschung
dieses scheinbaren Chaos der Materie. Ganz besonders
haben die Eiweißstoffe, aus denen der Zellinhalt, das Protoplasma
, zum größten Teile besieht, lange Zeit jeder wissenschaftlichen
Erforschung hartnäckigen Widerstand geleistet,
und selbst Virchow meinte ja, daß es wohl niemals gelingen
werde, den großartigen Aufbau eines Eiwe'ßmoleküls zu
ergründen. Das Eiweiß selbst setzt sich, wie bekannt, aus
einer verhältnismäßig geringen Zahl von Elementen zusammen
(aus C, H, O, N), doch die Zahl seiner möglichen
Verbindungen ist eine ganz unermeßliche, und was die Wissenschaft
in langer, unermüdlicher Arbeit hiei geleistet, besteht
hauptsächlich darin, daß es ihr gelang, das Eiweiß
in eine Anzahl von Gruppen von Verbindungen zu spalten
und diese zu definieren. Die wichtigsten Spaltungsprodukte
des Eiweißes zu erkennen und aufzubauen, darin gipfelt
heute der Ehrgeiz und das Streben der organischen Chemiker
.
Gleichzeitig mit den Fortschritten des Abbaues des Eiweißmoleküls
ging das Bestreben seines synthetischen Aufbaues
, und nach jahrelangen Versuchen gelang es, wie bekannt
, Prof. Emil Fischer in Berlin vor einigen Jahren,
die erstei< Eiweißkörper (die sog. ,,Polypeptide", Peptone
und Albuiiiosen) künstlich darzustellen, die nahe verwandt
sind jenen, aus denen der tierische Organismus die echten
Eiweißkörper zu bilden vermag.
Was nun unser Problem betrifft, so interessiert uns hier
ganz besonders die Frage, inwieweit man mit der Erforschung
des Eiweißes auch der Erkenntnis der Natur des
Protoplasmas, dieses wahren Trägers alles Lebens,
nähergerückt ist. — Zunächst wollen wir uns die Frage
stellen, wie sich überhaupt die empirische, experimentelle
Erforschung des Protoplasmas gestaltet, inwieweit sie gelungen
ist und welche Hoffnungen wir für die Zukunft
hegen.
Was zunächst die physikalische Forschung des Protoplasmas
betrifft, so können wir sagen, daß bei der außerordentlichen
Feinheit der Struktur desselben es bisher nicht
möglich war, demselben mit optischen Hilfsmitteln beizukommen
, und wenn man auch einwenden sollte, daß es der
mikroskopischen Technik doch gelang, recht weit in das
Geheimnis des physikalischen Aufbaues desselben vorzudringen
und eine Menge protoplasmatischer Gebilde (Kör-
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