http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1922/0023
Mikuska: Das Problem des Lebens. 19
Leben selbst nicht als ein zufälliges Resultat aus anorganischen
Konstellationen entstanden sein kann. Ob nun die
Entelechie im Beginne des organischen Entwicklungsprozesses
die Materie unter ihre Kontrolle zu bringen imstande
war, wählend sie heute Materie nur schon in bereits kontrollierte
organische Systeme einbezieht und diese Systeme
dann aber in dauernder, nach der Deszendenztheorie aber
stets veränderlicher Kontinuität von Generation zu Generation
in ihier Kontrolle erhält, sind Fragen, die gleichfalls
nicht zu beantworten sind. Daru wurde in vorliegender
Betrachtung auch das weit wichtigere Problem der vitalen
Gesetze und nicht das des Ursprunges des Lebens in Betracht
gezogen.
Was Driesch als Entelechie und Psychoid benannte,
hat ein anderer vitalistischer Forscher Johannes Reinkc als
Dominanten bezeichnet, denen er gleichfalls unkörperliche,
imbewußt psychische Tätigkeit zuschreibt. Die Dominanten
vwiken aut vorgefundene Struktur als das individuelle oder
siammesgeschichtlichc Produkt früherer Dominanten. Die
Dominanten leiten nicht nur die organischen Prozesse, sondern
formieren auch die bewußt psychischen Phänomene,
also das, was man in der Philosophie Kategorialfunktionen
\Denkfoimeni nennt. Die Gesamtheit der auf einen Organismus
wiiksamen auf ihn bezogenen Dominanten bildet
die „Seele*' eines Organismus. Für das Seelenleben ist die
Struktur von Wichtigkeit. *TL. B. ist die Struktur des Men-
-chenhirns mitbestimmend für die Empfindungsdominanten.
Dk Struktur selbst ist aber nichts Seelisches. Nur die unbewußt
psychischen Tätigkeiten oder Dominanten und die
aus ihnen folgenden bewußt psychischen Phänomene sind
als ,,seelisch*' zu bezeichnen. Bei Maschinen fehlt aber
beides; die Dominanten, die dem lebenden Organismus
immanent sind, wTerden bei den Maschinen vertreten durch
die zweckentsprechenden xAnsichten ihres Erbauers, Erfinders
.
Die bisher eröi teilen \italistischen Theorien zur Lösung
des Lebe n>problems stellen zwar die Hauptlinien für vitalistische
Auflassungen dar, die Zahl der bedeutenderen Repräsentanten
des Yitalismus und ihrer Lehren ist aber damit
keineswegs erschöpft, denn der Begriff einer „Lebenskraft
" wird heute fast von allen modernen Biologen in
den Kreis biologischer Betrachtungen gezogen. Bereits
Eduard v. Hartmann hatte das Wesen der Fortpflanzung,
der Instinkte im organischen Reiche in metaphysischer
Weise aufgefaßt, die Instinkte als Hellsehfunktionen angesehen
und in seiner Philosophie des Unbewußten" als
solche behandelt. Auch der frühere Darwinist und Media-
2*
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1922/0023