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28 Psychische Studien. XLIX. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1922.)
nicht zu schämen brauche, der den höchsten Gedanken und Erfahrungen
entspreche, deien die Menschheit fähig sei.
Ganz anders faßt Sehl eich in seinem schon oben genannten
Buche die Frage an. Er ist Naturforscher, Physiologe und Mediziner
, und geht von dem Nachweis aus, daß manche der wunderbarsten
Vorgänge im menschlichen und tierischen Körper, so z. 13.
die Tätigkeit und Wirkung des befruchteten Eies, die schier unfaßlichen
* Regenerationsvorgänge im Auge eines Molches, wie
Üxküil sie zuerst beobachtete, physiologisch nicht im entferntesten
zu erklären seien, so daß der Rückschluß auf ein metaphysische
Leben&prinzip, die Seele, unerläßlich erscheine. „Die
Seele hat sich den Körper gebaut, sie ist die Idee, kraft derer
wir existieren, folglich muß sie ewig sein. Sie hat uns durch die
ganze Entwieklungskette aus den Wolken und Nebeldünsten hinaufgesteigert
bis zum Ich, und unser Ich ist nur eine ihrer Funktionen
. — Jetzt fragt es sich: Läßt die Seele, nachdem sie sich
aus dem Unvollkommenen heraufentwi'\kelt hat, das wieder fallen,
was sie einmal erreicht hat? Das ist ganz unmöglich, und sie
wird weitergehen... Denn in der Natur finden wir, daß sie, wenn
sie irgendein höheres Schöpfungsstadium erreicht hat, nicht ein
Titelchen davon abläßt." (a. a. 0. S. 152—58). Und er schließt
mit den schönen Worten (S. 156): ,,Tod ist ein Menschcnwatm.
Denn Mensch sein heißt die Verkörperung einer Idee sein, Ideen
aber sind unsterblich.
Der Unsterblichkeitsglaube ist zudem lebendig in jedem tiefer
denkenden Menschen. Es hat niemals ein Genie gegeben, w elches
nicht an die Unsterblichkeit geglaubt hätte. Man befindet sich
mit dem Glauben an die Ewigkeit des Ichs wahrlich in der allerbesten
Gesellschaft.
Alle Sehnsuchten der Menschheit, die wahr und echt und im
Sinne des Guten sind, werden erfüllt. Wir haben den Luftkahn
bestiegen und die Meerestiefen überfahren, wir gelangen zu den
Sternen und werden das Geheimnis schauen von Angesicht zu
Angesicht Unser Wissen wird Religion/* —
Ganz anders wieder faßt Maeterlinck in ?eineau Buche „\ oin
Tode" *) das Problem an, nicht im tiefsten Sinne philosophisch,
nicht physiologisch, sondern als Mensch des forschenden Verstandes
und der gesunden Überlegung. Ein »Weiterleben nach
dem Tode in irgendwelcher Weise ist ihm Gewißheit, da eine
völlige Verniohtung undenkbar sei. Aber mit dieser Feststellung
begnügt er sich nicht, und er fragt weiter, ob wir möglicherweise
ohne Bewußtsein weiterleben oder mit unserem irdischen Bewußtsein
oder endlich mit verändertem, dauernd sich weitenden und
wachsenden Bewußtsein Er gesteht daß er es nicht weiß, hält es
aber für ausgeschlossen, daß es unser Schicksal sein könne, unser
*) Verlag Eugen Diederichs, Jena 1914.
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