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Psychische Studien. XL1X. Jahrg. I.Heft. (Januar 1922.)
mögen sie. ihm Sympathie entgegenbringen oder nicht. Diie fesselnde
Schrift von 8 e i 1 i n j : „Die Kardinalfrage der Menschheit^)
wird dieset Forderimg weitgehender und hesser als Maeterlinck
gerecht. Einleitend setzt er sich kurz mit Schopenhauer auseinander
und gibt dann in geschichtlichen Hinweisen ein reiches
Material über Alter und Verbreitung des Unsterblichkeitsglaubens.
Von großen Männern lebten ihm nicht nur Religionsstifter wie
Buddha, Jesus, Mohammed, sondern auch Weise, Dichter und
Forscher wie Pythagora^, Plato, Enip;dokles, Seneea, Giordano
Piuno Descartes, Leihniz, Kant, Fichte, Schölling, Herbart, Lotze,
Fechner und Goethe, vor allem Schiller und Wagner. An zahlreichen
Aussprüchen wird es dargetan. Der folgende Hauptabschnitt
behandelt die Existenz der Seele, für die er zahlreiche
überzeugende, ja zwingende Gründe beibringt, unter anderen
auch den, den Schleich neuerdings ausführlicher erörtert hat in
Feiner Schrift: „Hysterie und Gedankeiifmaelit"**): die reinphysiu-
logisch in keiner Weise zu erklärende organisch-plastische Schaffenskraft
der Seele bes. in hypnotischen und hysterischen Zuständen
(Stigmatisation u. dgl.). Nachdem Seiling dann in einem
kurzen Abschnitt über die „Fortdauer des individuellen Bewußtseins
" ganz im Sinn der oben mitgeteilten Gedanken von Heinrich
Scholz sich ausgesprochen hat, geht er in zwei weiteten
Hauptabschnitten auf die Frage von Praeexistenz und Wieder-
\erkörperung »-owie den wissenschaftlichen Spiritismus ein. Wieder
wre,*st er iwh. welche große Anzahl der hervorragendsten
Denker aller Zeiten Ach zu Präexistenz und Reinkarnation bekannt
haben, ne^en und nach d'en Indern Plato, Pythagoras, die
>euplateniker und Gno^-tiker, abe»* auch Giordano Bruno, Voltaire
, Lessing \or allem und wieder Goethe und Schiller. Auch
Seiling selbst neigt diesem Glauben zu, wenn er feich auch nicht
wissenschaftlich beweisen läßt. Und ebenso ist er überzeugt, und
•/war meines Erachtens durchaus mit Recht, daß auch die Ergebnisse
und Tatsachen des wissenschaftlichen Spiritismus, deren
er eine Anzahl besonders gut bezeugter und beweiskräftiger aufführt
, einen Zweifel am Fortiebon der bewußten Persönlichkeit
nach dem Tode ernstlich und dauernd nicht mehr zulassen, ohne
daß er diese Ergebnisse irgendwie überschätzte: „Mögen sie,
wie überhaupt der ganze Spiritismus, bei der Entscheidung der
Frage der Fortdauer dem tiefer Blickenden noch so entbehrlich
sein, zur weiteren Befestigung einer allgemeineren Überzeugung
sind sie uns gleichwohl höchst willkommen" (a. a. 0. S. &>).
So ist es in der Tat, und es ist heute noch nicht abzusehen,
vs eiche Bedeutung ihnen, sowie den gesamtem Tatsachen und Gesichtspunkten
, die unabhängig von Dogma und blindem Glauben
*) Verlag Oswald Mutze, Leipzig, 1918, 3. Aufl.
*) Verlag von Ernst Rowohlt, Berlin 1919.
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