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Bruck: Replik
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mern, der auch richtig genau % Stunde später — um Vgll
Uhr - wie sich am nächsten Morgen herausstellt, stirbt.
So wird der Hergang vom Pfarrer geschildert, der sich
in Prof. Ludwigs zweitem Aufsatz nochmals ausdrücklich
auf diese Schilderung festlegt: er habe die Geschichte nicht
geträumt: „ein Zweifel regt sich überhaupt
nicht44; daß die Erscheinung eine reale war,
war von Anfang an maine Ueberzeugung." -
Daran muß also auf alle Fälle festgehalten werden, daß es
sich nach den strikten Angaben des Pfarrers um eine Realität
gehandelt habe, wobei es für den das Erlebnis habenden
Pfarrer gam gleich sein kann, ob tun eine objektive, durch
das Auftreten des leibhaftigen Bauern veranlaßte (das ist
die eigene sofortige Auffassung des Pfarrers, an der er
noch am nächsten Morgen seiner Schwester gegenüber festhält
) oder um eine subjektive, durch „innerseelische
telepathische Verbindung" entstandene Realität;
„es war etwas ihm ganz Reales, Bewußtes" (das
ist die Auffassung von Herrn Prof. Ludwig). Einmütig
aber wird von beiden Herren die Annahme einer Traumszene
zurückgewiesen, und daran muß der Kritiker sich
halten. Und nun stelle man sich noch einmal die ganze
wSituation vor und betrachte sie vom rein menschlichen
Standpunkte ganz ruhig und unbefangen. Man wird
und muß dann zu dem Schluß kommen: Dasistjaalles
nur ein Traum, weil es nur ein Traum gewesen
sein kann und darf.
Ich will absichtlich das spezitisch Berufliche des Falles
hier ganz ausschalten, denn er läßt sich z. B. leicht und
ungezwungen etwa auf das ärztliche Gebiet transskribieren.
Nehmen wir also an, ein Landarzt hat frü|i morgens einem
Todkranken zur Erleichterung seiner Qualen eine Morphiumeinspritzung
gemacht und nachts kommt der Sterbende ganz
allein im Hemd (also unter ganz denselben äußeren Bedingungen
wie der Bauer des Pfarrers) in das Schlafzimmer
des Doktors und will nochmals eine Injektion; der hält sich
für a dllig wach (genau wie der Pfarrer) und (ebenfalls wie
diesen die Erscheinung für eine völlig reale, mit der sich
debattieren läßt, und gibt ihm eine Injektion oder er gibt
ihm keine; darauf kommt es gar nicht an. Worauf es aber
allein ankommt ? Darauf kommt es an . Wer in aller Weh
wird es glauben, und wird es der Pfarrer und Heu Prof.
Ludwig glauben oder auch nur für möglich halten, daß
unter diesen außerordentlichen Umständen der gute Doktor
sich auf die andere Seite legt, um den Schlaf des Gerechten
zu schlafen, während er in Kenntnis der Sachlage den alten,
bejammernswerten sterbenden ixU Stunde später wirklich
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