http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1922/0222
216
Psychische Studien. XLIX. Jahrg. 4. Heft. (April 1922.)
lieber einen Fall von phänomenalem Wettergedächtnis.
Referat von Dr. H. H. Kritzinger.
In den „P. S/\ Bd. 41, S. 328, wird aus den Reiseerinne
rungen von Hansjacob ein Pfarrer des kleinen Dorfes Unter
marcbtal erwähnt, der „nach kürzestem Besinnen" von jedem
Kalendeidatum zu sagen wußte, auf welchen Wochentag es
fiel. Der Pfarrer gab an, „daß seine Kunst weniger auf Berechnung
, als auf innerer Anschauung beruhe, d. h.
er sehe den Kalender des betreffenden fahres gleichsam vor
seinem geistigen Auge aufgeschlagen".
Es ist mir durch freundliche Unterstützung des Herrn
Oberbibliothekars Dr. med. Lecke, dem ich auch obigen
Hinweis verdanke, gelungen, auf dem Studieiribend der
Psychischen Studien-Gesellschaft zu Berlin am 9. November
1921 eine wissenschaftliche Nachprüfung des Wetter-
gedächtnisses des Herrn Lic. Otto Schräder ax er
reichen, das das des anderen Pfarrers weit übertrifft.
Aus dem stenographischen Protokoll des Abende ist
folgendes besonders hervorzuheben:
Nach Erledigung der geschäftlichen Angelegenheiten dos
betreffenden Studienabends übernimmt Dr. Kritzinger die
Leitung d^s wissenschaftlichen Teiles der Sitzung. Nach
einigen allgemein orientierenden Ausführungen über das
menschliche Gedächtnis und die Erinnerung weist er darauf
hin, daß ihm etwa seit zehn Jahren bekannt ist, daß Heir
Lic. Schräder über ein außergewöhnliches Wettergedächtnis
verfügt, das einen Zeitraum von 14 000 Tagen umspannt
. Er hat sich selbst im Laufe der Zeit durch verschiedene
Stichproben davon überzeugt, daß der Ruf des
Herrn Schräder nicht unberechtigt zu sein scheint, daß aber
eine umfassende wissenschaftliche Durchprüfung bisher noch
nicht möglich gewesen sei.
Es ist seinen Bemühungen gelungen, Herrn Geheimrat
Prof, Dr. Süring, Leiter des meteorologischen Instituts
auf dem Telegraphenberge bei Potsdam und Herausgeber
der ,,Meteorologischen Zeitschrift", dafür zu gewinnen,
diese Prüfung vom meteorologischen Standpunkt aus durchgreifend
vorzunehmen.
Nach einer Reihe gelegentlicher Stichproben aus dem
Kreise der Anwesenden - es beteiligen sich besonder^ der
Vorsitzende der P. S. G., Herr Oberstleutnant a. ü. K
Schuppe und Herr Oberstabsarzt Koschel - beginnt
Herr Geheimrat Süring mit seinen Fragen.
S.: Wie war das Wetter vor drei Jahren am 9. November
1918;
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1922/0222