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Psychische Studien. XLIX. Jahrg. 4. Heft. (April 1922.)
Auf die Anfrage des Herrn Dr. med. Czelliter, ob er
durchgehend denselben Kalender benutzte, bemerkt Herr
Schräder, daß das ;m wesentHchen der Fall war. Auf dessen
weitere F rage, ob Herr, Schräder sich über das Wetter Aufzeichnungen
mache, antwortet dieser ausdrücklich: „Nein,
nicht.*' Es wird weiter von demselben gefragt, ob auch
Physiognomien und Farben festgehalten werden können.
Herr Schräder bemerkt dazu, daß er kein besonders gutes
Personengedächtnis habe und auch für Farben nicht besonders
empfänglich ist. Beispielsweise ergibt sich, daß
Herr Schräder sich der Tapete des Zimmers, in dem er mit
12 Jahren Schularbeiten gemacht hat, nicht mehr entsinnt.
Die Frage, ob in der Familie des Herrn Schräder ähnliche
Begabungen vorliegen, wird von diesem verneint mit
dem alleinigen Bemerken, daß sein Vater auch großes
Interesse für Astronomie und Meteorologie gehabt hat.
Herr Oberstabsarzt Dr. phil. et med. Koschel stellt in
der weiteren Diskussion fest, daß es sich hier nicht um ein
ausdrückliches Merkenwollen des Wetters handeln dürfte,
sondern nur um ein Beeindrucktwerden von den Witterungsvorgängen
.
H err Oberstl. Schuppe fragt, ob das Wettergedächtnis
auch für Zwecke der Vorhersage in Frage käme, was Herr
Schräder jedoch verneint.
Herr Dr. Dreher betont, daß seiner Meinung nach das
Gedächtnis hier nicht allein passiv tätig sei.
Herr Dr. F. Schwab sucht die Frage zu klären, ob bei
diesem Merken des Wetters, das anscheinend wesentlich im
Unterbewußtsein erfolgt, auch schon höhere Gesichtspunkte
der Beurteilung Berücksichtigung finden.
Dr. Kritzinger stellt zur Klärung dieser Frage die Aufgabe
, die höchsten Temperaturen des letzten Jahrzehntes
anzugeben.
Herr Schräder bemerkt: „1911 vom 23. Juli bis 15. August
. Der 23. Juli mit über 35° Celsius. 1915, 10. Juni sehr
heiß. 1916 keine besonders hohen Temperaturen. 1917,
namentlich die Tage vom 17. bis 21. Juni mit über 27°
Reaumur. 1918 war gar nichts los/4
Zusammenfassend stellte Dr. Kritzinger am Schluß fest,
daß das von ihm bei Herrn Schräder vermutete umfassende
Wettergedächtnis durch die vorangegangenen Prüfungen als
bewiesen angesehen werden dürfte. Die Einprägung ist gewissermaßen
entsprechend den einzelnen Aufnahmen eines
Films erfolgt, und die Beurteilung des Wetters geschieht
wesentlich durch Nachprüfen der einzelnen Bildchen bzw.
Tage. Die Beantwortung von Kollektivfragen ist daher er-
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