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Psychische Studien. XLIX. Jahrg. 4. Heft. (April 1922.)
sein. Ob freilich das Kausalgesetz dieselbe normale 'iatig-
keit übt wie im Wachzustande, ist eine der Erörterung zugängliche
Frage, welche bei Besprechung der sog. Dissoziation
des Traumlebens ihre Beantwortung finden wird;
sicher aber ist, daß die Behauptung einer gänzlichen Ausschaltung
des Satzes vom Grunde im Traume grundlos erscheint
.
Wenn man also die Auttassungsweise Jenes eingangs ermahnten
populären Bewußtseins und die mehrerer großer
Denker konfrontiert, so fühlt man sich an jenes ironische
Wort Schopenhauers erinnert, den kleinen Denkern sei die
Auffindung eines Unterschiedes zwischen Wach- und Traumzustand
immer sehr leicht geworden, den großen dagegen
um so schwerer!
\\ ürck nun also die Auffassungsweise der namhaft gemachte
i Denker zu Recht bestehen, daß zwischen Traum-
und Wachzustand ein wesentlicher Unterschied nicht fest
stellbar ist, so würde daraus für die Wirklichkeitsfrage feigen
, daß der Traum geradeso gut eine Realität darstellt
wie das Wachen, und also der Traum, wTie wir in der Ueber-
schrift sagten, als Wirklichkeit begriffen werden muß.
Um dies nun erhärten zu können, müssen wir füglich zuerst
eine wenigstens kurze Analyse des Wirkliehkeitsbegrif-
fes geben und fragen also zunächst: „Was ist \\ irkliehkeit ?"
Wir stellen dabei drei Begriffsbestimmungen zur Auswahl,
die aber, wie sofort ersichtlich ist, im Grunde alle auf dasselbe
hinauslaufen: Wirklich ist, was mit anderen Dingen in
einem Beziehungszusammenhange stehr (Lotze); wirklic h ist
alles, was ins Bewußtsein tritt (Stöhn; wirklich ist, wa^
wirkt (Schopenhauer^. Es liegt auf der Hand, daß die
beiden ersten Definitionen nur gelehrtere Formen der dritten
sind, dem. was auf mich bezogen ist, oder in mein Bewußtsein
tritt, wirkt eben auf mich. Bleiben wir also bei der dritten
Begriffsbestimmung, welche die einfachste und beste ist.
Der Genius der deutschen Surache hat in dem von „wirken"
abgeleiteten Begriff „Wirklichkeit" tatsächlich mit naiver
Sicberheir den treffendsten Ausdruck für das in Rede stehende
Verhältnis geprägt. Ich nenne also ein Ding wirklich,
insofern es wirkt.
Unter dieser Voraussetzung sind dann allerdings verschiedene
Dinge wirklich, die man gewöhnlich nicht dafür hält.
Wenn wir z. B. jemandem, welcher gerade 1000 Mark
nötig braucht, ohne sie doch zu haben, sagen wollten: „Du
hast ja diese 1000 Mark wirklich," so würde er uns vermutlich
anbrummen und uns sagen, wir sollten ihn mit
unseren Spiegelfechtereien zufrieden lassen. Da hätte er
denn in seinem Sinne freilich recht; aber wir hätten in
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