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228 Psychische Studien. XLIX. Jahrg. 4. Heft. (April 1922.)
ich ihn ebenso wirklich wieder im Besitz. Mein Pelz führt
also ein merkwürdiges Doppelleben, hat gewissermaßen
einen doppelten Wohnsitz, denn er ist teils zu Hause in
der Kammer eines Spitzbuben, teils in meinem Kleiderschrank
. Jetzt hat er sich eine Weile gut gehalten, aber wie
- lange wird's dauern, so geht er, wenn sein Besitzer träumt,
wieder auf Reisen zu den Langfingern und ist mir dann
wieder - wirklich gestohlen. Auf einen tatsächlichen, nämlich
zeitlichen Unterschied, der in diesem Falle, wie überhaupt
zwischen der Traum- und Wachwirklichkeit allerdings
besteht, werden wir noch zu sprechen kommen.
Unter den mancherlei Träumen, welche die Hand der
Nacht uns zum Erleben gibt, ist wohl der unerfreulichste der
Traum vom Sterben. Dessoir beschreibt in seinem Werk
„Vom Jenseits der Seele" einen solchen Todestraum mit
diesen Worten: „Mir war, ais hätte ich mich angewidert
vom Leben und über die Maßen ermüdet in die Fluten gestürzt
. Mit großer Geschwindigkeit sank ich, und ich fühlte,
wie das Wasser sich dröhnend um mich schloß. Nun ging
der-Traum manchmal in der Richtung fort, daß eine peinigende
Atemnot eintrat und zum Erwachen führte, andere
Male jedoch folgte das schöne, das erlösende Bewußtsein,
jetzt sei es zu Ende, und zwar in Wirklichkeit, nicht bloß
im Traum." Können wir nun auch hier sagen, daß der
Herr Berichterstatter im Traume wirklich gestorben ist?
Nun, er sagt es ja in den mit Akzent beigefügten Worten
„in Wirklichkeit" selbst klar genug, und auch nach unseren
Begriffsbestimmungen ist es augenscheinlich, denn der Tod
„wirkte" ja auf ihn, er fühlte allen Ernstes, daß es zu Ende
ging, und so erlitt er dann in der Traumwelt den wirklichen
Tod. Wie stark die Realität des geträumten Todes ist,
ergibt sich noch aus der beigefügten Bemerkung des Verfassers
: „Ich habe Kinder und Erwachsene kennen gelernt,
die an solchen Träumen tropfenweise verblutet sind, deren
geistige und leibliche Gesundheit mit immer erneuter und
verschärfter Grausamkeit so zerstört worden ist." Hier bebeobachten
wir sogar, daß die Realität des geträumten
Todes sich nicht auf das Traum gebiet beschränkt, sondern
eine so unheimliche Ausdehnungskraft entfaltet, daß
sie sogar die sonst so festen Grenzsteine verrückt, welches
das Traumland von der Wacherfahrung trennen, und in
diese einbrechend, sie mit Todeskeimen infiziert.
Wenn wir nun also genügend nachgewiesen zu haben
glauben, daß der Wirklichkeitsbegriff auch auf das Traumleben
seine Anwendung findet, so ist doch auch andererseits
ein Unterschied zwischen beiden Wirklichkeitsarten festzustellen
. Und da liegt denn auf der Hand, daß die Traum-
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