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268 Psychische Studien. XLIX. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1922.)
übereinstimmt, nur daß bei ihm der Gaukler sich anscheinend
selbst zerstückelt, so kann man nicht annehmen, daß er seine
Erzählung frei erfunden hat, und wir möchten ihm daher
die Glaubwürdigkeit nicht ohne weiteres absprechen. Auch
M e 11 o n sah das Seilexperiment von chinesischen Gauklern
ausgeführt, im Anschluß an das Korbstechen, im Dezember
1676, Meltons Darstellung weicht, abgesehen von
dem erwähnten Detail, daß nicht ein Knabe, der dem Gaukler
vorankletterte, zerstückelt wurde, sondern die Glieder des
Gauklers selbst aus der Luft herabfielen, nur noch darin
von anderen Darstellungen ab, daß die Zuschauer die zerstückelten
Gliedmaßen von selbst zusammenkriechen sahen,
bis der ganze Körper wiederhergestellt war und der Gaukler
sich erhob.
Alle diese älteren Berichte würde man nun mit Recht
für Märchen ansehen können, wenn aus neuerer Zeit nicht
doch hin und wieder Nachrichten bekannt geworden wären
von Leuten, die behaupteten, das Seilexperiment persönlich
gesehen zu haben, und zwar in genau der Art, wie die älteren
Berichte es schildern. Der Inder Vairagyananda freilich
, der das Kunststück in seinem Buche „Hinduhypnoüs-
mus" (übersetzt von Harry Bondegger, 1906, S. 22 ff.) als
Tatsache hinstellt, scheint der Ellmore-Mystifikation zum
Opfer gefallen zu sein. Wir können aber die dadurch seinerzeit
hervorgerufene Diskussion heute als überholt ansehen.
Mir ist eine Reihe verstorbener angeblicher Augenzeugen
dieses Experimentes genannt worden, so Stangen, der
Begründer des bekannten Reisebureaus, der Chirurg Prof.
Goldammer, Lord Rüssel und andere. Aber mit
solchen Mitteilungen ist natürlich nichts anzufangen, da nicht
mehr zu ermitteln ist, was sie eigentlich gesehen haben.
Die Londoner Society for Psychical Research hat sich mit
der ihr eigenen Gründlichkeit auch mit dieser Frage beschäftigt
und sorgfältig die Berichte gesammelt, die sie über
das Seilexperiment hat erhalten können23). Es handelt sich
um drei Augenzeugenberichte, von denen aber nur einer
das „echte" Seilexperiment beschreibt, und dieser ist gerade
nicht sonderlich gut bezeugt u). Er stammt von einer Dame,
die gebeten hat, ihren Namen nicht bekanntzugeben. Sie
sah den „rope -trick " im November 1897 auf der Veranda
von Watsons Hotel in Bombay mitsamt einem zahlreichen,
ihr nicht näher bekannten Reisepublikum, das soeben gelandet
war. Der Gaukler warf ein Seil in die Luft, dessen
eines Ende anscheinend im leeren Räume hängen blieb. Man
23) „Journal of the S. P. R.", 1919, Nov.—Dez., S. 124/26.
2±) Zuerst im „Journal of the S. P. R.", 1905, Febr., S. 30/31.
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