http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1922/0299
t
v. Czernin: Die verschollene Kapelle. 291
reichem Inhalt und selbständiger Geistestätigkeit der Mensch
im normalen (wachen) Zustand nicht die geringste Kenntnis
besitzt.
Die Untersuchungen des Genfer Philosophen Prof. Th.
Flournoy, von Prof. Richet usw. haben ergeben, daß dieses
rätselhafte Unterbewußtsein oft zu geistigen Höchstleistungen
befähigt ist, die die Leistungsmöglichkeiten des normalen
Oberbewußtseins weit übersteigen, und daß bei diesen unterbewußten
Zuständen (Trance usw.) das ungewollte und ungeahnte
Ueberfließen von Gedanken und Vorstellungen aus
dem Bewußtseinsinhalt anderer Menschen besonders häufig
vorkommt (viele auf diese Weise erhaltenen medialen Mitteilungen
scheinen demnach zu Unrecht als Botschaften
aus einer „Geisterwelt" gedeutet zu werden). Bligh-Bond,
der auf diesem kritischen (metapsychologischen) Standpunkt
fußt und die Interpretation seiner Versuche im Sinne des
Spiritismus ablehnt, ging lediglich vom richtigen Forschergrundsatz
aus, sämtliche Mittel der Erkenntnis vorurteilslos
zu überprüfen und dann freimütig anzuerkennen, was
sich als gut erweisen würde; seine Arbeitshypothese für die
Glastonbury-Versuche ließe sich etwa wie folgt zusammenfassen
: Das in jedem Individuum verkörperte Einzelbewußtsein
sei nur ein Teil (fragmentary part) eines transzendentalen
Ganzen, und in der Seele jedes Einzelnen (oder wenigstens
eines vorzüglichen Meäiums) bestehe eine Pforte, durch
welche die Wirklichkeit als reine „Idee" einströmen könne,
als „Idee", welche ein größeres, selbst kosmisches Gedächtnis
- bewußt oder unbewußt, aktiv oder gebunden — voraussetzt
, das alle individuelle Erfahrung umfaßt und längst
vergessene Blätter des Lebensbuches fallweise wiederbeleben
kann, also Idee überhaupt, im transzendentalen
Sinn des Ueberschreitens aller Grenzen von Raum, Zeit
und Persönlichkeit.
Bligh-Bonds Annahme wurde durch die Tatsachen auf
das glänzendste gerechtfertigt, indem die auf dem Wege
des medialen Schreibens erhaltenen Angaben über die völlig
unbekannten Bauverhältnisse durch die späteren Ausgrabungen
bis in die verblüffendsten Einzelheiten bestätigt
wurden. Bl. hat das aktenmäßig genau festgelegte Material
dieser Sitzungen im Februar 1918 der Oeffentlichkeit übergeben
und der Eindruck seines Buches war ein so gewaltiger
, daß schon nach einem Vierteljahr eine Neuauflage
nötig war. Entsprechend seiner psychologischen Auffassung
wählte Bl. für sein Werk den Titel: „The Gate of Re-
membrance" (Die Pforte der Erinnerung* Verlag B. H.
Blackwell, Oxford; der Untertitel lautet: „Bericht über ein
19*
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1922/0299