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v. Klinckowstroem: Indische Qauklerkünste. 311
Fakir oder Yoghi vorgeführt zu sehen. Als ich nun im Wagen
durch die Straßen fuhr, da hatte ich die sichere Ueber-
zeugung, daß ich heute ein solches Phänomen bestimmt
sehen würde. Als mein Wagen auf dem Marktplatze angelangt
war, zeigte es sich, daß gerade, eine Art Volksfest
abgehalten wurde. Tausende von Eingeborenen drängten
sich, so daß mein Wagen nicht weiter konnte. Ich mußte
halten lassen und mit meinem Diener aussteigen. Ich war
nur wenige Schritte durchs Gewühl gegangen, als ich plötzlich
einen Fakir vor mir erblickte. Er war bis auf einen
Lendenschurz splitternackt, ein langer, spitz zugedrehter
Kinnbarc hing ihm bis auf die Brust herab; der Schädel
war glatt rasiert, sein Körper mit Kuhdünger bepudert. Er
lächelte und ging auf mich zu, gerade als ob er meine Ankunft
erwartet hätte. Da weder ich noch mein Boy den
Emgeborenendialekt sprachen, anderseits der Fakir meine
englische Ansprache nicht verstand, war eine Verständigung
anmöglich. Ich blickte den Fakir fest an und dachte gleichzeitig
mit Intensität, daß es mein Wunsch wäre, das berühmte
Seilexperiment mit eigenen Augen zu sehen. Nun
geschah etwac Seltsames. Kaum war dieser Gedanke in mir
wach geworden, lächelte mich der Fakir an, trat einige
Schritte zurück, und unheimlicherweise wich nun die Menschenmenge
, die mich bisher in mir wenig" sympathischer
Weise umdrängt hatte, plötzlich nach allen Seiten derart
zurück, daß es geradezu aussah, als ob eine Wache ein
dichtmassiertes Menschenkarree zurückgedrängt hielte, um
einen freien Platz zu schaffen. Ich dachte geradezu an ein
Exekutionskarree . . .
Sicher ist also, daß ich plötzlich mit dem Fakir auf einem
ziemlich großen Rechteck allein war und ihm auf eine Entfernung
von ungefähr 8 bis 10 Schritten Auge in Auge
gegenüberstand. Mein Boy war nicht zu sehen. Der Fakir
sah mich noch immer lächelnd an, machte plötzlich eine
Bewegung und hielt nun zu meinem Erstaunen einen ziemlich
dicken Spagatknäuel in der Hand. Ich war so verblüfft,
meinen Gedankenwunsch erfüllt zu sehen, daß ich meinen
Blick von ihm nicht abwenden konnte. Der Fakir machte
nun plötzlich ein Zeichen gegen die Menschenmenge. Daraufhin
feilte ein etwa neunjähriger Knabe, gleichfalls nackt,
auf ihn zu und faßte ihn ganz ohne Scheu an der Hand.
Der Fakir warf mir noch einen letzten lächelnden Blick zu,
wog den Spagnatknäuel vor meinen Augen drei- bis viermal
in der Hand und warf ihn plötzlich hoch in die Luft. Tch
blickte dem Spagatknäuel nach — zu meinem grenzenlosen
Erstaunen kam der Spagatknäuel nicht wieder aus der Luft
herunter, wohl aber hing die abgerollte Spagatschnur, so
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