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Psychische Studien. XLIX. Jahrg 6. Heft. (Juni 1922.)
Tageszeitungen.
„Die Zeit** bringt in Nr. 166 vom 7. April und in Nr. 177 vom
14. April 1922 einen hochinteressanten Beitrag über „Okkultismus und
Kriminalistik**. Der Verfasser, Regierungsrat Dr. Hage mann, stellvertretender
Chef der Berliner Kriminalpolizei, der auch den Bestrebungen
der Psychischen-Studien-Gescllschaft sympathisch gegenübersteht
, gibt darin aus dem umfangreichen Material einen Ueberbluk
und faßt seine Stellungnahme am Schluß wie folgt zusammen: „Nach
Zeitungsberichten und mündlich verbreiteten Gerüchten könnte es den
Anschein gewinnen, als ob mit Hilfe der an allen Ecken und Enden
auftauchenden Hellseher die Zeit nahe wäre, wo kein Verbrechen unaufgeklärt
, keine Tat ungesühnt zu bleiben brauchte. In Wirklichkeit
ist dem nicht so. Die Berliner Kriminalpolizei steht auf dem Standpunkte
, daß bei dem gegenwärtigen Stande der Erforschung okkulter
Erscheinungen die amtliche Benutzung von Hellsehern zur Erforschung
eines strafbaren Sachverhalts eine unverantwortliche Verletzungder
Interessen des Publikums wärq, zu dessen Diensten und Schutz
sie hertelll ist. Da gilt unverändert die nach den vorstehenden Ausführungen
selbstverständlich stark begrenzte theoretische Anwendungsmöglichkeit
, der zufolge Angaben von Hellsehern höchstens als Anhaltspunkte
für weitere Nachforschungen angesehen werden können. Gilt
ts doch nicht nur die Erhebung einer unbegründeten Anklage, sondern
überhaupt jede Aeußerung eines unbegründeten Verdachts zu verhindern.
Der gute Ruf eines jeden Staatsbürgers ist ein Rechtsgut das bei allen,
die es besitzen, in gleicher Weise geschützt sein muß; es durch Anwendung
eines theoretisch und praktisch in gleicher Weise unetprobten
Verfahrens auch nur zu gefährden, wäre eine Unverantx* ortlichkeit, die
durch nichts, auch nicht durch ein freisprechendes Urteil, zu entschuldigen
oder wieder gut zu machen wäre. Und zur kriminalistischen Verwendung
zum mindesten ist die „Hellseherei" nach den bisherigen Erfahrungen
noch lange nicht reif. Allen in der Presse oder sonst auftauchenden
Gerüchten über Erfolge von Hellsehern auf kriminalistischem
Gebiete ist die Berliner Kriminalpolizei durch Eirsichtnahme der gerichtlichen
Akten oder auf andere Weise nach Möglichkeit auf den
Grund gegangen. Bislang hat sich nichtein einziger Fall ergeben,
in dem die Unmöglichkeit natürlicher Erklärung der Angaben des hellsehenden
Mediums auch nur die Vermutung nahelegte, es seien okkulte
Kräfte am Werke gewesen, geschweige denn in dem die in die Presse
gelangten Gerüchte auch nur annähernd dem wirklichen Sachverhalt
entsprächen. Crescit fama eundo! Auch die von fach wissenschaftlicher
Seite vorgenommenen Prüfungen derjenigen Medien, die sich der Kriminalpolizei
gegenüber in dankenswerter Weise dazu erboten haben,
brachten in keinem einzigen Versuchsfalle ein positives Ergebnis! Die
Berliner Kriminalpolizei lehnt daher die Beteiligung an der Erforschung
eines Sachverhalts durch Hellseher pflichtgemäß im Interesse des Publikums
ab. Die private Heranziehung von Hellsehern seitens der Interessierten
, z. B. des Bestohlenen, kann und will sie nicht verhindern,
wenngleich sie nach den bisherigen Erfahrungen auf dem Standpunkte
steht, daß es sich bei den Bekundungen des Mediums bewußt oder unbewußt
um Phantasien über ein gegebenes Thema** handelt. Damit
soll, wie sich aus dem ersten Teile der Ausführungen auch ohne weiteres
ergibt, nicht gesagt sein, daß dieser Standpunkt ein unabänderlicher
ist. Im Gegenteil, jede ernsthafte Anregung
/u einer anderen Erkenntnis wird dankbar
angenommen und ihr nachgegangen werden. Ist
es auch nicht Amt des Kriminalisten, okkulte Phänomene zu
erforschen und ihre Echtheit festzustellen, so ist es doch seines Berufes,
sich über alle Erscheinungen menschlichen Lebens und menschlicher
Seele zu unterrichten und seine Auffassung feststehenden Ergebnissen
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