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346 Psychische Studien. XLIX. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1922.)
worden, als daß hier näher darauf eingegangen sei. Jedenfalls
steht fest, daß die psychischen Vorgänge, auch ein*
facKster Art, nicht mehr durch rein mechanische Theorien
erkläri werden können, daß wir vielmehr eine spezifische
neuropsychische Energie in den Nervenzellen
als Ursache der psychischen Tätigkeit
annehmen müßten.
Die Frage nach dem Wesen und Wirken dieser psychischen
Energie innerhalb des lebenden Organismus, nach den
Gesetzen ihrei Entstehung und Umwandlung, ja überhaupt
nach der Quelle dieser Energieproduktion führt auf eine
allgemeine Frage nach dem innersten Wesen des
Lebens selbst.
Psyche und Leben sind nach den Ausführungen von Bech-
t e r e w1; nicht von einander zu trennen. Abgeseher von jener
streng monistischen Auffassung, die nur das Vorhandensein
von Materie zugibt und demgemäß alles Psychische lediglich
ak materiellen Gehirnvorgang betrachtet, begegnet uns
noch jene Anschauung, die dem Seelenleben jedes Organismus
und besonders dem der höheren Tiere ein allen Lebewesen
, auch den Pflanzen, gemeinsames mechanisches Leben
gegenüberstellt, das die Gesamtheit der physikalisch-chemischen
Vorgänge umfaßt. Eine derartige Tiennung der
psychischen Funktionen von den Lebenserscheinungen im
engeren Sinne ist jedoch, wie sich leicht zeigen läßt, nicht
durchführbar. Das allgemeinste Charakteristikum des Lebens
.st der Stoffwechsel, jener dauernde chemische
Umsetzungsprozeß, der mit bestimmten Energieänderungen
und Energieentwickelungen verbunden ist. Nach v. Bechterew
ist nun jeglicher Stoffwechselvorgang vornehmlich bei
den niederen Organismen von gewissen, wenn auch geringen
, psychischen Funktionen abhängig. Es ergibt
sich dies notwendig aus der zweckmäßigen Reaktionsfähigkeit
der niederen Organismen auf jeglichen Außenreiz;
denn ohne diese Reizbarkeit sind alle die geordneten Stoffwechselvorgänge
gar nicht denkbar, da nur bei selbständigen
zweckmäßigen Reaktionen auf Milieuänderungen jene für die
Ernährung und somit für den Bestand des Lebens unbedingt
nötigen Außenbedingungen aufrecht erhalten werden können.
„Aber Reizbarkeit ist bereits primärer Reflex und Prototyp
einer reflektorischen Nerventätigkeit, deren weitere Komplikationen
zu neuropsychischen Funktionen führenö"2) Daraus
folgt, daß die einfachsten Lebensvorgänge schon mit primitiven
psychischen Vorgängen verknüpft sind, und daß weiter-
*) W. v. Bechterew, Psyche und Leben. Wiesbaden 1908.
2) W. v. Bechterew, 1. o. p. 97.
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