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348 Psychische Studien. XLIX. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1922,)
perimcntelle Untersuchungen gezeigt haben, stehen die spezifischen
Funktionen aller Organe in direkter Abhängigkeit
von den zugehörigen Neuronen. Durchschneidet man die
motorische Leitungsbahn eines Muskels, so bemerkt man
nach einiger Zeit eine deutliche Atrophie desselben, bedingt
durch das Ausbleiben gewisser Impulse, als Wirkung
der psychischen Energie der Zentren. Auch vom Körper
getrennte Organe (Herz* sind unter geeigneten Bedingungen
nur so lange lebensfähig, als in ihren Ganglienzellen psycho-
physische Rcser\cenergie zur Aufrechterhaltung des Betriebes
disponibel ist. Das zeigt, in wie hohem Grade die
Lebenserscheinungen der einzelnen Organe und damit des
ganzen Körpers von dem Nervensystem und der in ihm wirksamen
Energie in Abhängigkeit stehen. Doch abgesehen
von diesen Verhältnissen führen rein physikalische Ucber-
legungen m dem Ergebnis, daß Ernährung und Stoffwechsel
überhaupt durch eine besondere Energiewirkung bedingt
sind. Gemäß dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik streben
aller Energieformen eines geschlossenen Systems— und unser
Weltraum ist ein solches! — einer Vereinheitlichung, einer
Verwandlung in Wärme zu, d. h. es findet nach Clausius
eine Vermehrung der Entropie und damit eine Entwertung
der potentiellen Energie durch Leberführung in kinetische
statt. Diesem allgemein physikalischen Geschehen ist nun
die Gesamtheit der Lebensvorgänge insofern gegenüber zu
stellen, als bei jeder Assimilation in der Pflanze als auch
im Tierkörper hoch zusammengesetzte Verbindungen aus
solchen mit niederer potentieller Energie aufgebaut werden.
Da nun im gesunden Organismus, vornehmlich im jugenel-
lichen, die Assimilation überwiegt, indem nach Verworn
der Biotonus ^> 1 wird, so hat man mit Recht von einer
Veimchrun g der Ektropie des Organismus
durch die Energieumwandlungen des Stoffwechsels gesprochen
. Die Aufrechterhaltung dieser Ektropievermehrung
gegenüber eler entgegengesetzten Verwandlung^richtung aller
physikalischer Energieformen der Umgebung erfordert zweifellos
die Einwirkung eines spezifischen Energie.
Ebenso wie die physischen Erscheinungen ist auch die
Autonomie der Lebensvorgänge vom mechanistischen
Standpunkte bereits auf verschiedene Weise gedeutelt
worden. Zahlreiche Autoren gefielen sich darin, den Organismus
einer, allerdings höchst komplizierten Maschine
gleichzusetzen, die es versteht, selbständig aus unbekannten
Ursachen den Energieverbrauch zu regeln und die notwendigen
Bedingungen zur Weiterführung der vitalen Tätigkeit
aufrechtzuerhalten. Damit werden auch gleichzeitig die
bedeutendsten Unterschiede zwischen lebender, organisierter
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