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Seifert: Zur Frage nach dem Wesen und Wirken einer Lebensenergie. 349
und toter, anorganischer Materie auf einfachste Weise beseitigt
. — Der energetischen Auffassung schon etwas näher
stehen die Anschauungen Danilewskis; denn er erkennt:
die lebende Substanz birgt in sich die Kraft bzw. das Vermögen
des Widerstandes gegenüber den zerstörenden Einflüssen
von Wasser, Salzen, Wärme, Fermenten und Sauerstoff
, die sie überall durchsetzen und in den Zustand lebloser
und kraftloser Materie überzuführen bestrebt sind. Zur
JErkla rung dieser Kraftwirkung nimmt D a n i 1 e w s k i das
Vorhandensein einer ,,Materie höherer Ordnung" an, die
mit dei sichtbaren und wägbaren Materie der Lebenssubstanz
aufs engste verbunden ist. Nach seiner Darstellung ist im
Organismus ein allseitig verbreiteter kosmischer, sog. ,,bio-
gentr" Aether eis Träger der genannten Abwehrbewegungen
wirksam. Diese Auffassung bietet, wie leicht zu ersehen,
keine Lösung des Problems, vielmehr eine gewisse Komplikation
durch die Heranziehung einer neuen unbekannten
,,Mateiie höherer Ordnung". Auch Verworns Biogenhypothese
, die in einem hochzusammengesetzten beweglichen,
,.biogenen" Molekül die Ursache der Lebenserscheinungen
sucht, bietet lediglich eine Umschreibung der Tatsachen.
Gegenüber diesen mechanistischen Darstellungen gewährt
die schon angedeutete energetische Auffassung eine
bedeutende Vereinheitlichung. Unter Hinweis auf die engen
Beziehungen zwischen Psyche und Leben in Verbindung mit
der Annahme einer psychophysischen Energie der Nerven-
zentra ergibt sich die Tatsache, daß eben jene Energie in
den Ablauf der Lebensvorgänge ordnend eingreift, daß
sie jene Lebensenergie darstellt, an deren Vorhandensein
die vitalen F unktionen gebunden
erscheinen. Bei höherer Organisation erweist sich diese
selbe Energie als Träger der psychischen Funktionen
und des Bewußtseins. Du Bois-Rey-
mond sagt darüber: ,,An irgend einem Punkt der Entwicklung
des Lebens auf Erden, den wir nicht kennen,
tritt etwas Neues, bis dahin Unerhörtes auf, etwas wiederum,
gleich dem Wesen von Materie und Kraft und gleich der
ersten Bewegung, Unbegreifliches. Dies neue Unbegreifliche
ist das Bewußtsein. In der Hauptsache ist die erhabenste
Seelentätigkeit nicht unbegreiflicher aus materiellen
Bedingungen, als das Bewußtsein auf seiner ersten Stufe
der Sinnesempfindung." Jedoch diese Schwierigkeit ist nur
scheinbar. Die Tatsachen der unbewußten Gehirnlätigkeit,
die nach den gleichen Gesetzen wie die bewußte Seelen-
tätigkeil verläuft, weisen darauf hin, daß die Erscheinungen
des Bewußtseins durch keine selbständige
besondere Kraft hervorgerufen wer-
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