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350 Psychische Studien. XLIX. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1922.)
den, sondern in direkter Abhängigkeit von der psycho-
physischen Energie stehen. Da, wo der Nervenstrom am
intensivsten wird und infolge von Hemmungserscheinungen
die Energie der Ganglien maximale Spannung erreicht
, sehen wir das Bewußtsein auftreten. „Wie Reibung
mit dem Wachsen der Hindernisse immer größere Wärmemengen
hervorbringt, bis schließlich eine Flamme emporschießt
, so führt die Gehirntätigkeit beim Wachsen der
Widerstände im Nervensystem zum iXuftreten subjektiver
Erscheinungen, die man mit dem Begriffe Bewußtsein umfaßt
/'4} Während bei den Protisten selbst die einfachsten
psychischen Reaktionen mit gewissen für uns nicht vorstellbaren
Bewußtseinsvorgängen verknüpft sind, werden in der
aufsteigenden phylogenetischen Entwickelungsreihe diese
Vorgänge zu Reflexen, indem kompliziertere psychische
Funktionen nunmehr den Bewußtseinsinhalt bilden. Der
gleiche Vorgang wiederholt sich bei allem unserem Lernen
und Ueben, wobei wir einen ungewohnten und daher infolge
der Hemmungen bewußten Prozeß durch Gewöhnung zu
einem unbewußten machen, wie beispielsweise beim Gehen,
Sprechen- und Schreibenlernen. Somit finden wir n i c h t
den geringsten qualitativen Unterschied
zwischen jener alles beherrschenden Lebensenergie
und der vornehmlich in den Nervenzellen
wirkenden psychophysischen Energie.
Es steht nun außer Frage, daß diese Energie innerhalb
des "Organismus genau den gleichen allgemeinen physikalischen
Gesetzen des Universums unterworfen
ist, wie alle anderen bekannten Energieformen. Wir
dürfen keineswegs zu jenem alten scholastischen Begriff der
„Lebenskraft" zurückkehren, der einer weiteren Analyse
nicht zugänglich ist und daher mit Recht als überwunden
angesehen wird. Es handelt sich nicht um eine mysteriöse,
unerschöpfliche Kraft, sondern um eine Lebensenergie,
deren Entstehen im ganzen Organismus und speziell
in den Nervenzellen einer ebenso genauen, wenn
auch höchst schwierigen Untersuchung unterzogen
werden kann, wie die Entwickelung und Umwandlung
aller anderen physikalischen Energien. Wie diese
muß auch sie ein Teil der primären, konstanten W e 11 -
energie sein.
Obgleich wir heure als Elementareinheit des Lebens
stets die Zelle antreffen, so wäre es doch verfehlt,
als Urform des Lebens einen ähnlichen komplizierten Mechanismus
, wie sie ihn darstellt, anzunehmen. Der Uebergang
) v. Bechterew. 1 e. p. 40.
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