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Seifert: Zur Frage nach dem Wesen und Wirken einer Lebensenergie. 351
von- anorganischer Materie zu organisierter ist keineswegs
in derart sprunghafter Weise erfolgt; vielmehr zeigt sich
auch hier eine allmähliche Entwickelung, die sich
heule aus gewissen Erscheinungen an niedersten Organismen
rekonstruieren läßt. Einerseits repräsentieren die
pathogenen Chlamydozoen einen durchaus präzellularen Typus
, anderseits läßt sich bei gewissen Bakterien deutlich
eine Zellkernbildung durch Chromidien feststellen. (Bekannt
ist ja der umgekehrte Vorgang — Auflösung des Makro-
nukleus — bei der Konjugation von Paramaecium!). Von
unserem Standpunkte aus erscheint es naheliegend, die Einheit
der Lebenssubstanz, so wie sie einst auf Erden entstanden
sein mag, da eine primäre „Urzeugung" ja wohl
kaum mehr geleugnet werden kann, in einem einzelnen
allerdings aus hohen Eiweißverbindungen zusammengesetzten
Biomolekühl5) zu sehen, das
gleichzeitig die Quelle der Energieproduktion darstellt und
alle spezifischen Lebensfunktionen in sich enthält. Im Sinne
D a n i 1 e w s k i s können wir sagen, daß jene Piastiden
(Lebenseinheiten) eine „Materie höherer Ordnung" bilden,
wobei diese jedoch von der toten anorganischen Materie
prinzipiell nicht verschieden ist, sondern nur durch die ihr
innewohnende freie Energie ausgezeichnet
erscheint. Wir brauchen also durchaus nicht jenen biogenen
Aether zur Erklärung der witalen Vorgänge heranzuziehen,
vielmehr genügt die Annahme einer von Energie
durchdrungenen Materie als Lebenssubstanz
zur Erklärung der Stoffwechselvorgänge sowie auch der
psychischen Erscheinungen vollkommen.
Somit kommt also das Biomolekül als die alleinige
Urquelle der Lebensenergie in Frage, und
es ergibt sich von selbst, daß ihre Entwicklung aus dem
Atomkomplex gemäß den allgemein gültigen physikalischen
Gesetzen erfolgen muß.
Die Einheit von Energie und Materie ist heute wohl
kaum noch bestritten. Wir wissen, daß alle wägbare und
sichtbare Substanz sich auf Energie zurückführen läßt, nicht
allein im Sinne Ostwalds, sondern in der Weise, daß
die Materie nur als Verdichtung, als Anhäufung
von Energie erscheint. Gemäß der Lorentz-
ES
Transformation der speziellen Relativitätstheorie ist m =
d. h. die Energie eines Körpers ist gleich seiner Mtb>e. multipliziert
mit dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit Da diese
ß) Vergl A. v. Weinberg, das Eiweißmolekül als Unterlage der Lebens-
erscheinungen. 44. Bericht der ;Senekenberg. Naturforsch. - Gesellschaft.
Frankfurt a M. 1913.
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