http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1922/0360
352 Psychische Studien. XLIX. Jahrg. r. Heft. (Juli 1922.)
bekanntlich eine hohe Zahl darstellt, so resultiert aus dieser
Formel ein ungeheurer Energiegehalt der wahrnehmbaren
Materie. Diese immanente Energie ist
zu einem kleinen Teil die Kohäsionsenergie des Körpers,
welche die Moleküle zusammenhält, zu einem größeren die
intramolekulare Energie, die die Atome im Molekül bindet
und die z. B. bei einer Explosion plötzlich frei wird, zu
einem noch größeren die interaatomistische, welche die
Bausteine des Atoms, die negativen Elektronen und den
positiven Atomkern aneinander bindet und deren allmähliches
Freiwerden wir im radioaktiven Zerfall beobachten;
sie ist endlich zum weitaus größten Teil die Eigenenergie
des Atomkerns und der Elektronen selbst." (Weyl.6)) Gerade
dieser genannte radioaktive Zerfall ist nun für
unser Problem der Energieproduktion innerhalb des lebenden
Organismus von großer Bedeutung. Nicht allein, daß
die Strahlenemission uns jenes ungeheure Energiereservoir
des Atoms deutlich vor Augen führt, sie zeigt uns vielmehr
rein physikalisch, d. h. jeder objektiven Messung im weitestgehenden
Maße zugängig, die Umwandlung von Materie
in Energie.
Es liegt nun nahe, diese physikalischen Verhältnisse auf
die Energieumwandlungen und Energieproduktionen innerhalb
des Biomoleküls zu übertragen. Die Annahme,
daß die Lehensenergie durch radioaktiven
Zerfall frei wird, eischeint durch mehrere
Tatsachen gestützt. Zu den radioaktiven Elementen
gehören außer Lran, Radium, Thorium und Aktinium noch
Kalium und Rubidium. Die Aktivität dieser beiden
Elemente ist zwar nur gering gegenüber den anderen erstgenannten
, doch ist die des Kaliums immerhin nicht unbeträchtlich
und äußert sich in deutlicher B-Strahlung, d. h.
in Abschleuderung von Elektronen. Von großer Bedeutung
für alle weiteren Untersuchungen ist nun die Tatsache,
daß gerade Kalium einen unentbehrlichen Bestandteil
des lebenden Protoplasmas bildet,
der allerdings nicht allein in chemischer, sondern vornehmlich
in physikalischer Hinsicht wirksam ist. Es ergibt sich
demnach unter der Voraussetzung, daß die Kaliumatome
innerhalb der Verbindung ihre Aktivität beibehalten, oder
daß überhaupt keine chemische Verbindung eingegangen
wiid, und „freie44 Kaliumatome den Eiweißmolekülcn nur
angelagert erscheinen, eine ausreichende Erklärung für die
Entwickelung fjreier Energie innerhalb des
Biomoleküls. Somit sehen wir beim Lebensprozeß zwei
6) H. Weil, Raum, Zeit Materie. Berlin 1919,
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1922/0360