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378 Psychische Studien. XLIX. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1922.)
eine wirkliche Telepathie existiere, wurde das Interesse der
Wissenschaft bis heutigentags wacherhalten.
Die Telepathie ist heute noch ein Teil des okkultistischen
Keichsgebietes, doch hat die „offizielle** Wissenschaft durch
namhafte, regen Zuwachs erhaltende Vertreter bereits ihre
Hoheitsrechte angemeldet. Demgemäß dreht sich der wissen-
ß< haftlichc Streit heute kaum mehr um die Frage, ob es
überhaupt eine Telepathie gebe, als darum, worauf sie beruhe
. Schon der große Skeptiker Prof. D*\ Alfred Lehmann,
der alle glaubhaft berichteten Fälle von Telepathie und
Hellsehen am liebsten durch Zufall und Halluzinationen erklärt
hätte, räumte in seinem Werke „Aberglaube und
Zauberei von den ältesten Zeiten an bis in die Gegenwart"
(Verlag Ferdinand Enke, Stuttgart 1902) ein: „Telepathische
Kräfte sind ja an und für sich nicht absurd; es liegt ja
immerhin die Möglichkeit vor, daß ähnliches vorkommen
kann" Seite 462). Der Hypothesenkampf wird dabei zwischen
den „Offiziellen" und Xenologen nicht so hitzig geführt, tJs
unter diesen selbst. Hauptsächlich wird darüber gestritten,
ob die Phänomene der Telepathie und des Hellsehens auf
Wellen bzw. Strahlungen zurückzuführen seien, welch letztere
Ansicht begreiflicherweise auch die der „offiziellen" Gelehrten
ist, da sie sich bequem in das materialistisch-mechanische
Weltbild einfügen läßt, oder auf rein psychische Vorgänge
.
Darüber wollen wir später einmal ausführlich sprechen,
hier sei lediglich darauf hingewiesen, daß in diesen gelehrten
Meinungsaustausch fortwährend Laien eingreifen, die durch
Unkenntnis oder absichtliche Mißachtung des bereits feststehenden
Begriffes der Telepathie nicht bloß verwirrend
wirken, sondern auch die berufenen Forscher und Literaten
zu oft langatmigen Umschreibungen nötigen, wenn es gilt,
Erscheinungen zurückzuweisen, die im breiten Publikum zwar
für Telepathie gehalten werden, es aber tatsächlich gar
nicht sind.
Es fehlt eben an den notwendigen, die einzelnen Arten
der Pseudotelepathie charakterisierenden Fachausdrücken,
und deshalb schlage ich folgenden Ausbau der Terminologie
vor: Die „Telepathie" bezeichne ich dort, wo dies
zur Differenzierung geboten erscheint, als ,, echte1' oder
„reine" Telepathie und bringe sie in Gegensatz zur „ f a 1 -
sehen4' oder ,, Pseudotelepathie", die wieder in eine
„Trick-" und in eine „Beobachtungstelepathie"
zerfällt. Die letzteren beiden termini technici sollten richtig
„Trick - Pseudotelepathie" und „Beobachtungs - Pseudotelepathie
" lauten, denn sie haben in Wahrheit mit Telepathie
nichts zu tun, doch kann man der Kürze und des Wohl-
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