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Tartaruga: Die Telepathie im Dienste der Kriminalistik. 389
zum Vorschein. Zehn Minuten darauf hatten wir die vollständig
zerstückelte Leiche geborgen. Josef Fischer mußte
gestehen. Er hatte seine Gattin aufs Land geschickt, um
den Mord an der Drda zu begehen, welche eine alte Familienbekannte
war, und welcher er Gelder unterschlagen
hatte. Da ich an mir niemals telepathische Fähigkeiten bemerkt
habe, so steht es bei mir fest, daß mich damals
die Beobachtungstelepathie zu einem so raschen Ergebnis
brachte. Fischer war mein ausgesprochener „Telepathenführer
**.
Und daß mir die Pseudo-Telepathie, zu welcher ich ja
auch die Physiognomik zähle, ferner die jedenfalls richtige
Ueberzeugung verschaffte, daß der Mörder von der Haslingergasse
nicht der bisher sittlich einwandfreie Mensch
sei, als der ei sich nach unseren Nachschlagebehelfen darstellte
, sollte die weitere Verfolgung des Kriminalfalles lehren
. Ich blätterte zu Hause in meinem „Wiener Pitaval"1)
nach und stieß dabei auf einen in einen sensationellen
Wiener Mordfall verwickelten, im Jahre 1874 siebzehn Jahre
alten Goldarbeiterlehrling Josef Fischer. Der jetzt verhaftete
Josef Fischer war im Jahre 1857 geboren und im Jahre 1874
also wirklich 17 Jahre alt. Es stellte sich auch heraus, daß
der nunmehrige Träger dieses Namens ebenfalls die Goldschmiedekunst
erlernt hatte, und nun konnte ich das Landesgericht
auf jenen alten, längst vergessenen Fall aufmerk-
sam machen. Die Verhandlung fand leider nicht statt, da
der Beschuldigte während der Untersuchungshaft starb,
doch wäre die Feststellung sicherlich auch vom Standpunkte
der Physiologie interessant gewesen, ob hier Personsidentität
der beiden Mörder vorlag oder nicht. Ersteren Falles könnten
wir die steinerne Ruhe leicht begreifen, welche der
Raubmörder von 1918 in dem Gefühle, einmal schon bei
einem ganz ähnlichen Delikte den Strafbehörden ein Schnippchen
geschlagen zu haben, an den Tag legte.
Der Vollständigkeit halber sei die Bluttat des Jahres 1874,
x) Im Jahre 1913 gab ich im Verlage der „Oest. Zeitungs- und
Drackerei-A.-G." den vierbändigen „Wiener Pitaval, eine Sammlung! der
interessantesten Wiener Kriminalfälle'' heraus, welche das 19. Jahrhundert
bis zum Jahre 1873 umfaßt. Das Material hatte ich in mehrjähriger
mühevoller Arbeit zusammengetragen. Die meisten Kriminalfälle waren
längst in Vergessenheit geraten, die Originalakten existierten zumeist
nicht mehr, da sie in den Fünfziger Jahren, als die Gerichtsbarkeit
vom Magistrate auf die landesfürstlichen Gerichtsbehörden überging,
infolge unglaublicher Kurzsichtigkeit des damaligen Bürgermeisters als
„wertlos" vernichtet worden waren. Das Werk war rasch vergriffen.
Nunmehr sind die Rechte an den Verlag C. Barth (Wien u. Leipzig)
übergegangen, der eine Neuauflage veranstaltet. Der neue „Wiener
PitavaF wird bedeutend vermehrt erscheinen und soll fortgesetzt werden.
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