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Vom Büchertisch. 407
aus dem Leben geistiger Größen zusammenzutragen, und solche Fülle
an befremdenden visionären und Traujtigeschehnissen, an geheimnisvollen
psychischen Zwangsvorgängen, an überreizten Phantasien, an
Ekstasen, Beseligungen und Depressionen, an ungeahnten Seelenkrisea
usw. aus vergangenen Kulturepochen wie aus der modernen Zeit uns
anschaulich zu vermitteln. Das fleißige Werk, das in Fachkreisen
gebührende Würdigung fand, dürfte auch von den gebildeten Laien
mit großem Interesse und nicht ohne Gewinn gelesen werden.
Dr. med. P. S ün n e r.
Georg Sulzer, Die Besessenheitsheilungen Jesu. Verlag
Oswald Mutze. Leipzig 1921. Broschiert 16 M.
Kassationsgerichtspräsident S u l z e r hat uns wieder einen wert-
\ ollen Beitrag zur Klärung einer wichtigen okkulten Frage in seinem
Buche: „Die Besessenheitsheilungen Jesu" gebracht. Vor allen Dingen
werden sich die wissenschaftliche Psychiatrie sowie überhaupt die Leugner
der Besessenheit mit seinen Argumenten auseinanderzusetzen haben.
Denn Sulzer nimmt «einen Ausgangspunkt gerade von einem Material,
welches von dem Assistenten der Psychiatrischen und Nervenklinik
der Charite zu Berlin, Dr. Henneberg, zusammengestellt ist, und welches
beweisen sollte, daß es sich nicht um Besessenheit, sondern um
einfache Geisteskrankheit bei den Seelenstörungen handelt, die bei den
„Kranken" durch die Beschäftigung mit dem Spiritismus entstanden sind.
Ohne hier auf den Inhalt der seelischen Manifestationen der Henne-
bergschen „Geisteskranken" einzugehen, die für sich allein genommen,
schon den Gedanken an eh*e fremde Beeinflussung nahelegen müssen,
ist Sulzers Argumentation kurz folgende: Die von Dr. Henneberg
geschilderten „Geisteskranken" konnten nach einem durchschnittlichen
Aufenthall von einigen Wochen (zwei bis sieben) aus der Irrenanstalt
geheilt entlassen werden, nachdem ihnen während d.eser Zeit die Beschäftigung
mit dem „Spiritismus", Psychographieren usw. systematisch
unterbunden worden war. Dies ist für den Kenner wirklicher geistiger
Erkrankungen ein klarer Beweis dafür, daß es sich gar nicht um Erkrankungen
des Gehirns gehandelt haben konnte, sondern um etwas
anderes. Denn wenn wirklich eine „Geisteskrankheit" vorliegt, die meist
Hand in Hand mit einer anatomischen Veränderung des Gehirns geht,
so braucht der Heilungsprozeß, wenn er überhaupt eintritt, viele Monate
oder sogar Jahre. Da nun die Hennebergschen Kranken nach
einigen Wochen geheilt entlassen werden konnten, so schließt Sulzer
mit Recht, daß das gerade ein Beweis dafür sei, daß nicht Geistes«*
krankheit, sondern Besessenheit durch ein fremdes Geistwesen vorlag
. Dieses bedeuteten auch die seelischen Manifestationen der „Kran-
Ken", die sie wählend dieser Periode zutage förderten. Da ferner in
den Hennebergschen Krankenberichten ausdrücklich gesagt ist, daß
keinerlei erbliche Belastung bei den Kranken vorlag, auch nicht in der
Ascendtnz, so ist auch hieraus zu entnehmen, daß diese Geisteserkrankungen
nicht wirkliche Geisteskrankheiten im Sinne der Schulpsychiatrie
waren. Denn die Erfahrung lehrt, daß wirkliche Geisteskrankheiten (Gehirnstörungen
) in der Regel nur bei erblich belasteten Personen vorkommen
oder be* solchen, in deren Ascendenz schon Geisteserkrankungen
vorhanden waren. Sulzer schließt also mit Recht, daß gerade die Hennebergschen
„Kranken" den Schluß auf Besessenheit rechtfertigen. Seine
Argumentation ist so klar und einfach, daß ich sie gerade deswegen
auch in allen ähnlichen Fällen für richtig halte. Sulzer <:eht nun zu
den Besessenheitsheilungen Jesu über und zeigt, daß e& mcH auch
hierbei nicht um Geisteskrankheiten handeln konnte, wie die rationalistische
Aufkläiung es behauptet, sondern um Besessenheit durch Dä-
mone oder böse Geister. Denn wenn es wirkliche Geisteskranke im
Sinne der modernen Psychiatrie gewesen wären, so hätte ihre Heilung
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