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4:58 Psychische Studien. XLIX. Jahrg. 9. Heft. (September 1922.)
Verteidiger trat einerseits wieder dafür ein, daß Astrologie
eine Wissenschaft sei, andererseits wendete er sich gegen
die Auffassung des Gerichtes, daß § 54 des PStGB. hier
Anwendung finden könne, denn dieser §54 sei ursprünglich
gegen Zigeuner und Charlatane aufgestellt worden, aber
nicht gegen wissenschaftlich arbeitende Astrologen, welche
für ihre Horoskope wochenlange Arbeit benötigen, denn das
4. Hauptstück des Bayer. PStGB. betrifft nach seiner Ueber-
schrift „Bettel und Landstreicherei". Sachverständiger, Verteidiger
und Angeklagter bemühten sich in den Verhandlungen
darzulegen, daß die größten Denker aller Zeicen für
die Astrologie eingetreten seien, daß auch Astronomen schon
Astrologen waren, wie Kepler und Tycho de Brahe, sowie
daß nach der Lehre Ostwalds bei jeder Wissenschaft eigentlich
die Vor aussagung der Zweck sei, daß auch Meteorologen
das Wetter prophezeien und Aerzte Krankheitsprognosen
aufstellen.
^Der Staatsanwalt wendete sich schroff gegen
alle Ausführungen des Verteidigers und des Angeklagten
und bezeichnete den Angeklagten als Charlatan, der
verurteilt werden müsse; dieser Ansicht trat auch das Gericht
bei und verwarf kostenpflichtig die Revision. Der Angeklagte
habe sich nach § 54 PStGB. strafbar gema^ :ht und
sei mit Recht verurteilt worden. Staatsanwalt und Gericht
stützten sich auch besonders auf Entscheidungen des Ober-
iandesgerichtes Bayern, nach denen jedes Vorhersagen
der Zukunft Täuschung ist. In einem Urteil des
Bayer. Oberlandesgerichtes vom Februar 1920 heißt es:
„Das Gesetz steht auf dem Standpunkt, daß es kein
Mittel gibt, die Zukunft vorherzusagen, und
daß das Vorhersagen der Zukunft wie das Entschleiern der
Vergangenheit immer Täuschung ist.u
Schon in der ersten Instanz machte der Amtsanwalt geltend
, daß Grimm auch verurteilt werden müsse, selbst wenn
es gelänge nachzuweisen, daß Astrologie eine Wissenschaft
ist, weil er Geld für seine Arbeit genommen hat. Jedenfalls
hat Grimm mit seinem Verteidiger aus tiefster Ueberzeug -
ungstreue für die Anerkennung der Astrologie als Wissenschaft
gekämpft, wobei er in ebenso idealer Weise von
Dr. Max Kemmerich unterstützt wurde und nicht um
150 Mark Geldstrafe, die er schon als Strafbefehl zahlen
konnte. Sonderbar mutet daher die Bemerkung des Vorsitzenden
an, welcher doch auch wissen muß, daß der Prozeß
viele Tausende kostet, daß 150 Mark Geldstrafe nicht
hoch sei.
Der hier vielgenannte § 54 des Polizei-Strafgesetzbuches
lautet:
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