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572 Psychische Studien. XLIX. Jahtg. 11. Heft. (November 1922.)
Nach Schleich gibt es drei Gehirne:
a) Schädelgehirn,
b Hautgehirn,
c) Sympathikus (Gehirn des Unterbewußtseins).
Das Sympathikusgehirn ist laut Schleich viel „klügeru
als der Verstand (siehe Maßler „Die Forschungen von
C. G. Schleich und das religiöse Erleben); es ist der
große Rhythmusgeber für das Leben. Es ist nur der Sympathikus
, der das Herz phasisch schlagen läßt, und Tod
ist, richtig ausgedrückt, — „Sympathikus versa gen*
Dieser Rhythmus wird vom Sympathikus aus reguliert,
aber auch jeder andere Rhythmus im ganzen Tierreich, bis
hinab zur Amöbe, wird nach Sehl eich vom Sympathikus
erzeugt; der Sympathikus ist der Urnerv. So ist
der Sympathikus der Ausdruck des kosmischen Rhythmus,
Schleich nennt ihn den Weltallsnerv; denn er reagiert
auf die feinsten Schwingungen von außen her. Der Sympathikus
ist für ihn die Brücke zwischen dem All und dem
Ich. Der Mensch muß auf den Sympathikus lauschen,
denn da ist mehr Wissen, mehr Harmonie, mehr Friede
zu finden, als in der „Vorderhirnmentalität4
Schleich verwirft den einseitigen Intellektualismus
unserer Zeit und will uns wieder zu den Wurzeln des Lebens
zurückführen. Hier auf der Brust ist unser besseres Ich.
Der Mensch von heute unternimmt in seiner Weltfremdheit
jedoch „Spatenstiche gegen die Wurzeln der ewigen Kraft/4
Wenn der Mensch erschrickt, dann greift er zur Brust.
Hat er Freude, dann „lacht seine Brust4*', wie man sagt.
Musik erweicht das Herz. Aber hier unter dem Brustbein
fühlt man auch das Heimweh. Dies eigenartige Gefühl
kommt aus den tiefsten Tiefen; es steckt da etwas noch
ganz anderes dahinter als bloß „bei Muttern sein*'. Genau
genommen bleibt bei jedem Menschen noch ein Heimweh
übrig, selbst wenn er Mutter, Herd, Weib und Kind hat.
Es ist die Sehnsucht nach der eigenen größeren Seele,
die ihn mit dem All verbindet. Nach Schleich ist diese
Sehnsucht nur dann gestillt, wenn der Mensch durch den
Sympathikus in die eigene Brust heruntersteigt, das Gehirn
für eine Weile zum Schweigen bringt und dadurch Weltallanschluß
gewinnt. Nur hier ist der Mensch geborgen,
und hier beginnt die Religion. Der religiöse Sinn
liegt für Schleich im Sympathikus. Im tiefen Schlaf hat
der Mensch jede Nacht den Weltallanschluß. (Die Sehnsucht
nach dem Tode ist die Sehnsucht nach der großen
Seele. Niemand, der sich nach dem Tode sehnt, glaubt in
diesem Tode tot zu sein, sondern sucht insgeheim Friede;
er will von sich, dem Gehirnmenschen, frei sein. „Mysti-
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