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Schwab: Das sympathische Nervensystem.
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die man im Leben des Alltags nicht merkt, haben in der
Höhenluft, an der See usw. einen ganz gewaltigen physio
logischen Erfolg.
Es muß irgendwo eine „Antenne" im Körper sein, die
nur diese feinsten Reize aufnimmt und auf die groben nicht
anspricht. So nur kann man sich denken, daß die homöopathische
Medizin von einer gewissen Verdünnung ab diese
„Antenne" dynamisch erfassen kann, während die tieferen,
chemisch wirkenden allopathischen Dosen daran vorübergehen
oder höchstens schockartig (giftig) wirken. Kröner
erwähnt mit Recht, die Therapie der Zukunft sei eine
Sympathikus-Therapie. Am meisten ist dies schon bei der
Homöopathie einzusehen, die auf die Psyche des Ganglien
Systems direkt losgeht. In den homöopathischen Arznei
mittellehren finden wir bei jeder Mittelprüfung auch ein
besonderes Kapitel über die Wirkung auf Gemüt und Geist,
was schon zeigt, daß man hier die Organwirkung nicht von
der Psyche getrennt zu betrachten gewohnt ist. Die homöopathischen
kleinsten Arzneireize (siehe die Gabenlehre) sind
zu vergleichen mit geringen, aber rhythmisch wiederholten
Anstößen auf kleine Räder mit ganz großer Uebersetzung.
Einer riesengroßen Uebersetzung entspräche dann die Wirkung
der Hochpotenz. In der Tat: nirgends bewährt sich
besser die Behauptung, daß die Natur heile und nicht die
Medizin, als durch die homöopathischen Gaben in ihrer
Wirkung auf das Gangliensystem.
Noch viel inniger scheint der Sympathikus mit den
Problemen vom Ursprung des Lebens verwickelt zu sein,
als wir das bisher geahnt haben. Vielleicht geht die ganze
Entwicklungslehre auf ihn zurück, indem er als „Archaeus'
- die Alten verstanden darunter allerdings einen Aetherleib
als Baumeister — durch Aeonen hindurch an den Organismen
gebaut und sie vervollkommnet hat.
Man spricht von vererbten Vorstellungen, wenn das
Hühnchen nach dem Ausschlüpfen sofort das Futter bemerkt
, wenn das Kind die Mutterbrust findet usw.
Vielleicht ist es gerade die durch alles hindurchgehende
Ganglienpsyche, die, gebunden an das fortdauernde Protoplasma
, als eine „Arche Noah" die gewonnenen Rhythmen
sorgsam aufbewahrt und rettet vor dem Untergang.
Die Zoologie mußte sich bei den an Ebbe und Flut
(Sandwurm) *), an Mondphasen (Palolo-Wurm) gebundenen
Rhythmen vorläufig damit abfinden, daß diese Rhythmen,
*) Gewisse Sandwürmer an der Nordsee vergraben sieh zur Zeit der
Ebbe, kommen bei der Flut wieder heraus: Dies tun sie auch noch im
Aquarium, wo keine Ebbe und Flut eintritt.
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