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Tischmer: Literatur und Okkultismus. 595
hierdurch erst wird sie Larve, sichtbar szenisch; sie
sondert sich ab; sie betätigt sich!
Wer dies phantastisch nennt, hat keine Phantasie! Ihm
ist die Geisterwelt verschlossen; d. h. sie ward auch lange nicht
geöffnet. Der Spuk im Drama ist ein Kriterium! Aber
das läßt sich nicht beschreiben
„Wir werden sehen V4 —
Ja, wir werden sehen! Und auch das ist richtig, daß
der Spuk im Drama ein Kriterium ist, denn nur ein echter
Dichter wird den Schemen Leben einhauchen können, so
r1aß wir teil an den Gestalten zu nehmen vermögen. Aber
gerade weil es ein Kriterium für den echten Dichter ist,
ist es ein gefährliches Unterlängen, dem Spuk im Drama
in dieser Weise, wie es Wolf tut, das Wort zu reden, vielleicht
wird es zum Schibboleth, das den echten Dichter
vom geschickten Schriftsteller und „Macher" unterscheidet.
Eine solche Welt, in die das Okkulte in der von Wolf geforderten
Weise hineinragt, würde seine ganz eigenen Gesetze
psychologischer und auch ethischer Natur — man denke
z. B. an die Selbst Verantwortlichkeit der Persönlichkeit —
haben, die uns kaum fesseln würde, da sie nicht unsere
Welt des Alltags ist, in der wir alle leben, und außerdem
könnte nur ein Dichter in einem besonders glücklich gelagertem
Einzelfall alle diese Klippen mit Glück umsteuern.
Der Himmel bewahre uns vor Geisterspuk in jedem
Drama, um der Kunst willen und auch um des armen Okkultismus
willen, der auf die Weise wieder von neuem diskreditiert
werden würde.
Man erlasse es mir, diese „Sünden wider den Geist" im
einzelnen zu besprechen, um gehaltvollere Dinge zu behandeln
. Kurz sei auf ein, soweit ich sehe, recht unbekannt gebliebenes
Drama aufmerksam gemacht: „Ignorabimus"von
Arno Holz*\ das in höchst interessanter, eigenartiger Weise
das Materialieationsphänomen verwendet; Holz läßt es
schließlich in dichterisch sehr fetner Art unentschieden,
ob nun die Materialisation im Drama echt war od§r nicht.
Daß ein wahrer Dichter in der Tat dem Gebiet eigene und
einzigartige Wirkungen entlocken kann, möge ein Eingehen
auf das Drama „Der Wettlauf mit dem Schatten*' von Wilhelm
von Scholz2) zeigen, ein Drama, das starke Erschütterungen
auslöst.
Worum handelt es sich bei ihm? Es kann hier nicht
meine Aufgabe sein, den Inhalt zu erzählen und zu analysieren
, das hieße einen Schmetterlingsflüge] mikroskopieren.
*) Verlag Reißner, Dresden, 1913.
2) Yerlag fieorg Müller, München, 1920.
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