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686 Psydiische Studien. XLIX. Jahrg. 12. Heft (Dezember 1922.)
etwa sechs Schritte kam sie mir nach, als ich bei der Gangtüre
angelangt war, sie aufsperrte und, ohne Notiz von der
Schwägerin zu nehmen, die Türe wieder zudrückte. Meine
Schwägerin hörte noch die Türe eines Nebenraumes in der
Wohnung gehen, in den ich anscheinend eintrat. Etwas
erregt über meine Ungezogenheit, ihr die Türe vor der Nase
zuzuschlagen, klingelte sie und pochte an 'der Türe, die
vom Dienstmädchen geöffnet wurde. Auf ihre Fragen nach
mir erhielt sie die etwas erstaunte ^Antwort, daß ich nicht
in der Wohnung sei, auch nicht eingetreten sei. Meine
Schwägerin war aber so fest von der Tatsächlichkeit ihres
Erlebnisses überzeugt, daß sie die Wohnung nach mir
durchsuchte. Meine Frau hatte nichts von mir wahrgenommen
. Ich frage nun: War das eine Halluzination meiner
Schwägerin, sozusagen eine nach außen projizierte und bis
zur Lebhaftigkeit der wirklichen Erscheinung ausgestattete
Vorstellung, oder war die Erscheinung objektiv wirklich vorhanden
, also ein sogenannter Astralleib, Doppelgänger, oder
wie man sagen will? Ich neige jener Erklärung zu, obwohl
die Worte Halluzination und Vorstellung nur Verlegenheitswörter
sind, Surrogate für eine nicht erklärte
Tatsache.
Ein Chiromantenprozeß in Hamburg.
Von Fritz Langner,
Wie andere Städte im Deutschen Reiche, so machte
Hamburg in letzter Zeit wieder Aufsehen durch Prozesse,
in denen der Okkultismus eine Rolle spielte. So wurde eben
ein Hamburger „Okkultist", der auch mir persönlich bekannt
war, wegen eines Doppelraubmordes zweimal zum Tode verurteilt
, weil die Hypnose zu seinem Verbrechen nicht ausgereicht
hat. So haben es Untersuchung und Verhandlung
ergeben, er selbst bestreitet allerdings die Tat.
Gegenstand einer grundsätzlichen Erörterung über die
Möglichkeit der Charakter- und Krankh^itserkennung aus
Form und L inien der H and wurde ein Prozeß gegen
den Chiromanten D. Cassatarry. Ich wohnte selbst als
Zeuge der etwa zwei Stunden dauernden Verhandlung vor
dem Landgericht bei. Durch die Voruntersuchung wurden
auch Kollegen des Herrn Cassatarry in den Kreis der Erhebungen
einbezogen, wobei von einem der Untersuchungsbeamten
die Ansicht des Staatsanwalts vorgetragen wurde,
daß er eine Gefahr darin erblickt, wenn man einer Dame
z. B. voraussagt, sie werde sich unglücklich verheiraten
und ihre Ehe wird durch die Scheidung enden.
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