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Meinungsaustausch.
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deutend, daß man diese Mischung von Ueberkritik mit
phantastischen Deutungsversuchen im Sinne der Skepsis
nicht mehr ernst nehmen kann, in der Tat bin auch ich
der Meinung, daß Herrn Molls Bestreben, alles zu verreißen
, nicht mehr ernst genommen werden kann. Es mag
in der Tat schwer fallen, nachdem man 35 Jahre immer
dasselbe gesagt, umzulernen, das ist bekanntlich im Alter
nicht leicht, jedenfalls macht das Ganze einen tragi-komi-
schen Eindruck.
Herr Moll scheint sich mit Geschick und Glück in
die Rolle eines modernen Tersites oder Nicolai hineinzuwachsen
, vielleicht wird auch ihm das Schicksal zu Teil,
einen Homer oder Goethe zu finden, so daß er — ein zweiter
„Proktophantasmist** — weiterlebt —, ich gönne ihm diese
Art Unsterblichkeit.
Herr Moll beginnt seinen Aufsatz in der Frankfurter
Zeitung mit der bekannten Anekdote vom alten Humboldt,
der, als man ihn fragte, warum die Tische beim Tischrücken
sich bewegen, meinte, der Klügere gebe eben nach. Ich
möchte meine Ausführungen mit einer anderen Anekdote
beschließen, von einem, der auch nicht nachgeben wollte,
dem „Ambassadeur" in dem bekannten Gedicht von Lilien-
cron; wie sehr der Ambassadeur aber auch Protest erhob,
man warf ihn beiseite, die Bahn wurde doch gebaut!
Meinungsaustausch.
Nachlese
zu meinem Aufsatz im November-Heft der Psychischen Studien
„Zur Duplizitätsforschun g."
Ich habe darauf hingewiesen, daß die Tagespresse entweder durch
Doppelmeldung eines und desselben, Ereignisses aus verschiedenen Orten
oder durch eine gewisse vorschnelle „Duplizitäts-Bereit-
schaff* die Analyse des Duplizitätsforschera erschwert und bin heute
in der Lage, dies wieder durdi zwei aktuelle Fälle zu belegen.
Am 21. Juli d. J. brachten die Berliner Zeitungen unter dem Titel
„Elektrischer Tod in der Badewanne" eine Nachricht aus
Frankfurt a. M„ wonach ein Ehepaar, die in der Badewanne liegende
Ehefrau und der ihr zu Hilfe eilende Ehemann, dadurch tödlich verunglückten
, daß sie beide mit nassen Händen gleichzeitig eine Messing-
Stehlampe und die Zinkwanne berührten und so den Strom durch ihren
Körper führten. Zwei Tage später brachte eine Zeitung — nicht die
anderen —, wie ich einer Älitteilung von befreundeter Seite entnehme
, eine ganz gleichlautende Geschichte, nach der diesmal nur
ein Mann in dieser Weise zu Tode gekommen war. Wahrscheinlich
handelt es sich hier, ähnlich wie bei den in der Handlung verwandten
Märchen der verschiedensten Völker, um eine „Wanderung der
Motive" von Mund zu Mund, von denen schließlich der eines „freiwilligen
Mitarbeiters" das Ohr der Presse findet.
Der zweite Fall knüpft an den Leipziger Rathenau-ProzeQ
vom Anfang Oktober d. J. an und an den Bericht von der Sendung
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