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IV
reinere und größei*e, auch allseitig befriedigendere Anschauung
und Erklärung des letzten Geheimnisses. Und doch kann sie uns
Neuzeitlichen, als Männern der Tat, des Strebens, des Schaffens
und freudiger Bejahung und Entwicklung nicht genügen. Zu
sehr fühlen wir, daß bei solcher Einstellung Seiten unseres
Wesens, die wir zu unserem wertvollsten rechnen, nicht voll
berücksichtigt und entfaltet werden, tiefste Bedürfnisse keine
Befriedigung finden. Und schließlich ist dort jener Gegensatz
von Verstand und sinnlicher Anschauung doch auch nicht voll
überwunden. Denn ist das Brahma ewig: warum ist denn jener
Weg der Läuterung, Vergeistigung und Befriedung nicht längst
beendet, warum die unterschiedslose Seligkeit des Nirwana nicht
längst erreicht in den unfaßbaren Ewigkeiten, die hinter uns
liegen . . ♦, wenn es auch immerhin denkbar bleibt, daß aus
irgend einem uns unerklärlichen Grunde jene Entwicklung
irgendwann einmal angefangen hätte, sodaß wir nun also zufällig
gerade mitten in ihr ständen . . .
Doch scheint mir solche Annahme weder zwingend noch
durchaus befriedigend und jenes Rätsel, jener Widerspruch
auch ohne sie lösbar, wenn wir nur Gott als ewigen Schöpfer-
geist erkennen und verstehen, als den Urgrund, das Herz und
Urlicht des Alls, das in immer neuen Strömen die Welten
und Sonnen, diese ilther- und Kraftwirbel, aus sich schleudert
und gebiert, das aus innerer Notwendigkeit, die gleichzeitig
höchste Harmonie, Kraft und Freiheit ist, schadt seit Ewigkeiten
und schaffen wird in alle Ewigkeiten, ohne Anfang, ohne
Entwicklung, ohne Ende, doch in ewiger Schöpferliebe und
glutenden Schöpferseligkeiten. Denn daß etwas anderes als
Schöpferkraft, Liebe und, aus ihnen strömend, unfaßbare Seligkeit
das innerste Wesen und Ziel tiefsten Weltgeschehens sei —
ganz ausgeschlossen erscheint es, zumal wenn man bedenkt,
wie es auch für den Menschen, diesen Splitter und Keim aus
Gott, höchste und reinste Seligkeit bedeutet, wenn er schaffen
darf aus der Fülle der Kraft heraus und sich in Liebe ver-
schenken, sei es das Schaffen der Hand, das tiefe Erkennen
und schöpferische Schauen des Geistes, die segnende Liebe des
Herzens oder endlich auch die in Reinheit erglühende zeugende
Vereinigung von Mann und Weib. Ist doch Seligkeit im vierfachen
Sinne der Schöpferkraft, der Liebe, des Erkennens,
Sichvollendens das Ziel unseres ganzen Erdenweges, die Kraft,
die ihn durchpulst, die Sonne, die ihm leuchtet, um so klarer und
heißer leuchtet, je näher wir schreiten und uns finden zu Gott.
Und so hätten wir denn des letzten Geheimnisses Wurzel
und Sinn enthüllt? — Ist es aber nicht undenkbar, daß ein
Schöpfer-Gott, schaffend seit Ewigkeiten, ein so unvollkommenes
, so schmerzdurchwühltes Gebilde aus sich schleudert
und um sich hegt, wie diese arme und irre Erde es ist? —
Doch wie klein und menschlich scheint solches Fühlen und
Denken, wie sehr geschaut von unserem armen Alltagsstand-
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