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VI
Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts lebte in Berlin ein
Maler, Felix Gabriel, ein begabter Mensch, dessen Bilder sich
durch-eine seltsame wirre Phantastik auszeichneten* Es fielen
ihm Erfolge zu, die er fast gierig in sich einsog, er verstand es,
den Ruhm, der seinen Namen umgab, gleichsam genießerisch mit
jeder Faser auszukosten. Der Größe seiner Begabung und seines
Könnens stand eine kleine oder vielmehr kleinliche Menschlichkeit
im Wege: seine Eitelkeit, das maßlose Gefühl seiner Bedeutung
, eine ganz egozentrische Stellung zur Umwelt, die nicht frei
war von kalter, praktischer Berechnung. Dem Rausche, den er
beim Schaffen zweifellos empfand, folgte nüchternste Erwägung,
sobald es sich darum handelte, aus seiner Kunst persönliche Vorteile
zu gewinnen. Andrerseits war er als ein Mensch, bei dem
auch die Asche immer noch Glut barg, jähen und unvermittelten
Affekten zugänglich, die ihm die Herrschaft übei sich völlig
raubten. In diesem Zustande wurde er zum Mörder.
Bei Menschen von der Art Gabriels entspringt solch eine Tat
durchaus nur den zersetzenden, jede Hemmung niederbrechende«
Einflüssen ihrer Veranlagung, äußere, unmittelbare Gründe
kommen nur als letzter Anstoß hinzu, ohne von allzu wesentlicher
Bedeutung zu sein. Es muß, um den Pflichten des Chronisten
Genüge zu tun, erwähnt werden, daß Gabriel ein Weib
liebte, eine feine, blonde Frau, deren Gatte gleichfalls Maler war.
Eine bohrende Eifersucht gegen den Mann, dem alles, was er
selbst sich rauben mußte, rechtmäßig zufiel, fraß sich, je länger
dies qualvolle Verhältnis währte, immer tiefer in ihn hinein, und
dazu kam, daß jener auf etlichen Ausstellungen, die sie beide
beschickten, besser abgeschnitten hatte als Gabriel. Diese Eifersucht
, aus zwei Quellen gespeist, wurde bald zu einer namenlosen,
wirren, tobenden Qual, es kamen Augenblicke, wo Gabriel von
seiner getretenen Eigenliebe geblendet wurde. Dieses würgende
Gefühl verletzter Rechte durchsetzte all sein Denken und Empfinden
so sehr, daß er schließlich von diesem Gifte ganz durchtränkt
und durchseucht war. Es mußte zur Katastrophe kommen und
bei einem Spaziergang, der beide an einem trüben Winterabend
an den Ufern der Spree entlang führte, erschoß Gabriel den
Gatten der Geliebten während eines plötzlich aufflackernden
Wortwechsels, der zur Grausigkeit der Tat^ durchaus in keinem
Verhältnis stehen konnte.
Er wankte heim über die regendurchfurchte Landstraße, durch
die spiegelnden Gassen der Stadt, indes ein grauverhängter
Himmel all seine Trostlosigkeit auf die Landschaft herniederschüttete
. Er ka-n in sein Zimmer, in welchem die Dämmerung
schon ihre Netze breitete, und eine mit furchtbarer Willensanspannung
aufrechterhaltene Ruhe mnd Beherrschtheit erfüllte
ihn. Er wußte, daß der Moment, wo er diese Gewalt über sich
selbst, über seine Nerven und Gedanken, verlieren würde,
von namenlosem Grauen erfüllt sein müßte. Es galt,
galt, vor sich selbst zu fliehen. Gabriel wollte arbeiten, er schob
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