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XIV
auf den Mund, um mich zum Schweigen zu bringen, und
fügte ganz leise hinzu: „Sprechen Sie nicht von Toten - -
es gibt keine Toten, es gibt nur solche, die uns entschwunden
sind, unseren irdischen Augen entschwunden; aber sie leben,
wie wir, nur in anderen Sphären. Man muß von einem
solchen sagen, er ist abgeschieden, aber nicht, er ist tot."
H ome sah in diesen angeblichen Offenbarungen der
Geister (ob es wirklich solche waren oder ob es sich da um
Taschenspielerkunststücke handelte, körnte ich weder bestätigen
noch verneinen) den unwiderleglichen Beweis eines
Lebens im Jenseits, und schien sehr entrüstet, wenn jemand
darin allerlei Teufelskünste sehen wollte. Er bezeigte eine
große Verehrung für den Heiligen Vater — damals Papst
Pius IX. — und ging von Zeit zu Zeit nach Ron, um dem
Papst seine Ehrfurcht zu erweisen. Dieser war dem Spiritismus
abgeneigt, und man erzählte uns, daß er Horn e
ernstlich geraten habe, die Geisterbeschwörungen aufzugeben
. Dieser aber habe Seiner Heiligkeit versichert, die
Offenbarungen seien von seinem Willen gänzlich unabhängig
; er selbst sei oft davon ermüdet und wünschte, daß
sie sich nicht so häufig ereigneten. — Wo ist die Wahrheit ?
Der Pere Ravignan*), der mit Home sein gut bekannt
war, versicherte ganz ernstlich, daß dieser guten
Glaubens sei — aber er selbst war kein Freund des Spiritismus
und wollte Home um jeden Preis davon abbringen.
Inzwischen wraren unsere Freunde von ihrer Expedition
nach dem Melophon zurückgekehrt, indem sie das bewußte
Instrument wie eine Trophäe trugen. Home bat mich,
es mit der einen Hand zu nehmen und, allein in der Mitte
des Saales stehend, hochzuhalten. Ich steckte meine rechte
Hand in den Riemen, der an dem Blasebalg angebracht
war, und wartete. Mit einem Male verspürte ich einen Zug
an dem Instrument, als ob jemand den Blasebalg in Bewegung
setzen wollte - ich war starr und plötzlich hörte
ich, wie alle anderen Anwesenden, ein wunderbares Spiel
erklingen; so sanft und harmonisch, daß man es eine
himmlische Musik hätte nennen mögen.»
Die Aufregung war auf ihrem Höhepunkte angelangt,
und da die Töne, die diesem scheinbar verzauberten Instrument
entquollen, übernatürlich waren oder doch schienen,
standen vielen von uns die Tränen in den Augen. Man wird
selten wieder solche Klänge hören.
Mit dieser musikalischen Produktion endete die Seance.
Personen, die den Home sehen S^ancen nicht beigewohnt
haben, haben behauptet, daß die angeblichen Geisterhände
die Füße des Mediums gewesen seien. Aber ich frage, wie
wäre es möglich, daß ein Mann, der drei bis vier Meter von
*) Einer der berühmtesten Priester und Prediger im damaligen Paris.
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