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Vogl: Franz Richtmann. 29
interessierten dadurch, daß er nach Einsicht in die Schädlichkeit
dieser Genüsse mit einemmal vollständig davon
abläßt und in seinem Entschluß trotz anfänglich großer
Pein fest bleibt.
n späteren Jahren — den Zeitpunkt kann ich leider
nicht feststellen, vermute aber um die vierzig herum —
tritt nun eine ganz eigentümliche Erscheinung bei ihm
ein, die für ihn eine völlige Wende in seiner ganzen Lebensweise
und Lebensauffassung bedeutet. Begibt er des Abends
sich zur Ruhe und will er einschlafen, so überkommen ihm
so unerhört furchtbare Sinnesempfindungen und das Gefühl
, er müßte sterben, daß er sich immer wieder emporreißt
und auf Schlaf verzichtet. Die Folge ist, daß er
physisch und psychisch ganz herunterkommt und schließlich
mit Selbstmordgedanken sich trägt. Da hat er den
Einfall: Du brauchst ja bloß jenen Prozeß, der das Einschlafen
so furchtbar macht, nicht zu stören, dann hast
du, was du willst: du wachst nicht mehr auf. Er tut
danach, er hört, wie schon so oft, jenes fürchterliche Getöse
, wie von Posaunen, Pauken und anderen undefinierbaren
Instrumenten, er sieht unbeschreiblich grauenhafte Gestalten,
so arg, daß. er abermals nahe daran ist, sich mit aller Gewaltanstrengung
emporzuraffen — aber mit einemmal ist
alles zu Ende und — er ist wach. Jedoch bald merkt er,
daß er in einer ihm ganz fremden Umgebung sich befindet:
er ist in einer Art Halle mit einigen wenigen seltsamen
Gegenständen, lebendiges Wesen sieht er keins. Plötzlich
ertönt ein fernes Klingeln, und — er findet sich in seinem
Bette liegen; es hat im Hausflur geklingelt. Er war wieder
im gewohnten Alltag. Von nun an setzt er dem „Einschlafen
" keinen Wiederstand mehr entgegen, die fürchterlichen
Sinnestäuschungen hören auf und er wird gewissermaßen
ein Körper zweier Welten. Von deren beider Wirk-
lichkeit ist er so fest überzeugt, wie der Mensch des Alltags
überzeugt ist von der Wirklichkeit seiner Alltagsumgebung.
Ja, falls man widersprechen sollte, so ist ihm die andere
Welt eher noch wirklicher als diese gewohnte; er hat für
den Zweifler oder Gegner das geruhige Lächeln eines,
welcher weiß, gegenüber einem gänzlich Unwissenden.
Befindet sich Richtmann in jener ihm zunächst ganz
ncuei Welt, so liegt sein Körper starr, wie tot, auf seinem
Lager. Als er einmal langsamer als sonst in die Alltags-
welt zurückkehrt, die Arme bereits bewegt und den Kopf
mit Mühe in die Höhe hebt, da erschrickt er nicht wenig,
als er hinter sich auf dem Polster seinen eigenen grobstofflichen
Kopf erblickt, mit klaffendem Munde, halbgeschlossenen
Lidern, wie bei einer Leiche. Schleunigst legt er sich
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