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32 Psychische Studien. L. Jahrg. 1. Heft. (Januar 1923.)
hierher bringe. Aber wohl eben so selten von hier dorthin
. Er will dort bisweilen Bekannte von hier getroffen
haben, die ihn jedoch nicht erkannten und ein merkwürdig
tierhaft stumpfsinniges Aussehen hatten.
Besonders verwunderlich dürfte es erscheinen, daß
Richtmann auch in jener Anderwelt wiederum in eine Art
kataleptischen Schlaf geraten, beziehungsweise in ihn sich
versetzen konnte, um in einem noch weiter sublimierten
Dasein zu erwachen. Und diese Möglichkeit geht immer
weiter: immer wird das Erleben unserm gewohnten Dasein,
immer unähnlicher dem, was wir normalerweise erfahren,
was wir als Umwelt, Dasein, Wirklichkeit ansprechen. Hierüber
läßt sich freilich nicht referieren und desputieren:
es fehlen die Mittel der Verständigung dort, wo die Erfahrung
, beziehungsweise die Erinnerung an gehabte Erfahrung
bloß ganz wenigen isolierten Einzelpersonen gegeben
ist. —
Wieweit Richtmann die Fähigkeit erlangt hatte, willkürlich
in jene anderen Daseinszustände sich zu versetzen,
ist mir nicht klar geworden, bis zu einem gewissen Grade
hatte er es allmählich fertiggebracht. Bisweilen, wenn er
mir erzählte, unterbrach er sich mit der Bemerkung: ,.IcH
muß aufhören, sie rufen mich von dort, ich könnte hinüber
müssen/1 Er hatte sich im Erzählen zu sehr hinübergedacht
.
Seine so absonderlichen Gaben förderte unser Freund
— übrigens nachdem er ihrer bereits teilhaft war, so daß
diese Gaben selbst ihn gewissermaßen dazu erst recht befähigten
— durch eine streng asketische Lebensweise. Gesellschaftlichen
Verkehr pflegte er fast gar nicht, und es
war überaus schwer, seine Bekanntschaft zu machen oder
gar in ein vertrauteres Verhältnis zu ihm zu kommen.
Psychologische und theosophische Gesellschaften bemühten
sich um seine Mitgliedschaft, er gab zunächst nach, zog
sich aber immer wieder bald zurück, da — wie er sagte —
die Leute über die Dinge zwar viel redeten, aber nichts
erlebten. — Soweit er mit der Außenwelt verkehren mußte,
war er der hochgebildete, bescheiden höfliche Mann, stetig
und ruhig in seinem ganzen Gehaben, weder in der Kleidung
noch sonstwie ein auffälliges Wesen zur Schau tragend.
Richtmann bewohnte in Baden bei Wien, wo ich einigemal
sein Gast gewesen bin, ein eigenes Haus in vornehm ruhiger
Straße. Außer ihm wohnte im Hause nur sein verheirateter
Diener. Sein Sekretär wohnte in Wien. Die Räume waren
mit wertvollen Möbeln und kostbaren orientalischen Teppichen
reich ausgestattet. Die Nahrung war streng vegetarisch
, vollständig salz- und gewürzlos — woran man sich
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