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Seifert: Ueber den Zusammenhang von Leib und Seele. 123
lieh die Koinzidenz physischer und psychischer Vorgänge ins
Auge faßt und wissenschaftlich zu erforschen sucht.
So wertvoll eine derartige Anschauung auch für die Entwicklung
der neueren Psychologie wurde, die wegen ihres experimentellen
Charakters bereits als eine exakte Wissenschaft zu bezeichnen
ist, so wenig befriedigend konnte sie für unsere Natur-
erkenntnis sein. Man müßte notwendigerweise nach eine,
Löisung des Problemes suchen, falls man nicht auf die Idee der
Okkasionalisten zurückgehen wollte. Diese neue Lösung glaubte
man darin gefunden zu haben, daß man die Beziehungen zwischen
Leib und Seele weder leugnete, noch einen kausalen Zusammenhang
annahm, sondern sie als funktionelle Wechselbeziehung
hinstellte (Avenarius, Mach.). Dies bedeutete
zweifellos eine Vereintachung; aber was war es im Grunde
anderes als eine exakte Formulierung einer längst bekannten Tatsache
? Das „Wie" dieser Einwirkung wurde durch diese funktionelle
Relation ebensowenig geklärt als durah die einfache
Nebeneinanderstellung im parallelistischen Sinne.
Angesichts dieser Lage hatte nun jeder einzelne die Wahl, ob
er diesen Dualismus anerkennen oder lieber unter Ablehnung
des physischen oder psychischen Elementes für den Idealismus
oder gar für den Materialismus sich entscheiden wollte. Diese
Freiheit wtar jedoch naturgemäß nur so lange gegeben, als in den
exakten Naturwissenschaften dgr alte Dualismus von Kraft
und Stoff bestand; denn diese beiden Begriffe entsprechen ja
auf biologischem Gebiete denen von Körper und Geist Man
könnte also getrost an seelische Kräfte glauben, die zur Körpermaterie
im Gegensatz standen, dennoch aber auf sie einwirken
konnten, solange es physikalische Kräfte gab, die sich zur Materie
genau so verhielten. In neuerer Zeit haben sich nun die Dinge
in dieser Hinsicht wesentlich geändert. Den Begriff der Materie
hat man zugunsten des Kraft- oder besser Energiebegriffes aufgegeben
. Die moderne Physik kennt nur eine einheitliche „Substanz
", die teils in ihrer „ursprünglichen Gestalt" als Energie, teils
aber auch in ungeheuer starker „Verdichtung" als Materie erscheint
. Zwischen Energie und Materie besteht im Grunde
genommen nur noch ein quantitativer Unterschied, kein
qualitativer mehr wie ehedem.
Dieser Umschwung im physikalischen Denken kann naturgemäß
auf unsere Anschauung vom Wesen der Seele und des
Körpers, sowie ihrer gegenseitigen Beziehungen, nicht ohne Einfluß
sein. Bereits in Heft 7 des 40. Jahrgangs der Psych. Studien
(pag. 345—356) habe ich diese Verhältnisse eingehender darzustellen
gesucht, und ich kann, um Wiederholungen zu vermeiden,
das dort Gesagte hier nur noch einmal kurz zusammenfassen.
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