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166 Psychische Studien. L. Jahrgang. 4. Heft. (April 1923.)
brach. Die Frage nach der Möglichkeit und nach der Wirklichkeit
sog. okkulter Phänomene bleibt bestehen und erheischt ihre Beantwortung
, ganz unabhängig davon, ob man diese Beantwortung für überflüssig
, gefährlich, unhygienisch oder für sittlich, religiös und wissenschaftlich
förderlich beurteilen mag. Dies ist einem jeden nach seinem
jeweiligen weltanschaulichen Standpunkt unbenommen; es zeigt nur,
wie begrenzt dieser Standpunkt ist.
Es kann fördernd, reizvoll und klärend sein, die Tatsächlichkeit
aller behaupteten okkulten Erscheinungen einmal als erwiesen hinzunehmen
und dann mit logischen und philosophischen Mitteln darüber
nachzusinnen, in welchen Weisen sich diese Tatsächlichkeit mit unserem
physikalisch-psychologischen Weltbilde vereinigt, und welcher Begriff
des Okkulten alsdann stichhält. Dies hat der Kölner Philosoph
Privatdozent Dr. B. Haas in einer geistreichen kleinen Schrift getan,
betitelt „Das Problem des Mediumismusu (Verlag Püttmann, Stuttgart),
die soeben erscheint. Diese Schrift des Schülers von Hans Driesch,
dem bedeutenden Naturforscher und Philosophen, der zurzeit in China
die deutsche Geistigkeit würdig zur Geltung bringt, führt weiter, was
schon Prof. Oesterreich in seinem Werke „Der Okkultismus im modernen
Weltbilde*4 angebahnt hatte. Aber von zwingender Notwendigkeit scheint
uns doch nach wie vor die Tatsachenfrage selber zu sein, die trotz dem
unendlichen Fleiß bedeutender und hingebender ein/einer Forscher, besonders
der Amerikaner William James und Hyslop, immer erneut der
Sichtung und Sicherung, der Erweiterung und Vertiefung bedarf.
Die Feststellung von Tatsachen, auch von solchen mit okkultem Erklärungsanspruch
, ist die Domäne naturwissenschaftlich-experimenteller
Beobachtung. So paradox es ist, daß die Methode der Maturwissenschaft
da/u dienen soll, gleichsam ihrem ärgsten Feinde den Steigbügel
zu halten: es hilft alles nichts; der Mensch unserer Kulturstufe
kommt um die Forderung nicht herum, daß nur die Kontrolle der
Naturforschung es ihm ermöglicht, über die Standpunkte der Naturforschung
hinaus zu gelangen. Ist die Tatsachenfrage im okkulten
Gebiet erst einmal entschieden, so wird über die Erklärbarkeit immer
noch zu diskutieren sein.
In Ergland hat die Forschung diesen Standpunkt bereits seit vier
Jahrzehnten inne. Die Society of psychical research veröffentlicht laufend
ihre, an Wert wie an Sicherheit sehr verschiedenartigen Ergebnisse.
In Deutschland hat seit Zöllner eigentlich nur ein einziger Forscher
in wahrhaft exakter experimenteller Weise sogenannte okkulte Tatsachen
zu gewinnen vermocht: der Münchener Frhr v. Schrenck-
Notzing, dessen zweites gehaltvolles Werk über Materialisationen
gerade erschienen ist. Andere Forscher, selbst solche vom Range
eines Dessoir, haben lange Jahre intensiver Arbeit an diese Forschung
gewandt, ohne indessen auch nur eine einzige als sicher beglaubigte
Tatsache okkulter Herkunft zu erhalten.
Nun kann dies an der Methode, an der ^geistigen Einstellung
des Forschers liegen. Es ist eine Tatsache von höchstem Gewicht,
daß kein einziges okkultes Phänomen auftritt, \das nicht an die
produktiven seelischen Kräfte und Vorgänge in bestimmten besonderen
Persönlichkeiten, den Medien, gebunden wäre. Das Problem der
okkulten Tatsachen wird zum Problem des M e d i u m i s m u s. einem
zunächst rein psvehologischen Problem. Diese Persönlichkeiten sind,
bei sehr verschiedenem geistigem Niveau, durchwegs von ungewöhnlicher
seelischer Eigenart, suggestiven Einflüssen besonders leicht zugänglich
und überaus sensibel. Wenn in solchen Menschen sich außergewöhnliche
seelische Kräfte und Fähigkeiten regen so llen und okkulte
Erscheinungen bewirken, so ist auch leicht einzusehen, daß diese von
der seelischen 1 age des Mediums sehr stark abhängig sein werden.
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