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182 Psychische Studien. L. Jahrgang. 5. Heft. (Mai 1923.)
und Störungen hielte. Aber die Tatsache ließ sich nicht
leugnen, denn nach Entlassung Johannas hörten die Phänomene
vollkommen auf. Das Mädchen nahm andere Stellen
an, in denen jedesmal ähnliche Ereignisse zustande kamen.
Sie wurde bald Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit,
aber niemand wollte sie wegen des Schadens, der überall,
wohin sie kam, angerichtet wurde, lange behalten.
Ich nahm diese .Konstatierungen mit der größten Reserve
auf, obgleich mein Bruder, der in der Gegend dieses
Dorfes wohnt, sich für ihre Wahrheit verbürgte. Das Notwendigste
war, des Mädchens selbst habhaft zu wrerden. Dies
gelang mir, und sie trat am 14. März 1922 in meinem Haus
eine Stelle als Dienstmädchen an. Ich engagierte sie nicht
nur aus Wißbegierde, sondern aus dem praktischen Grunde,
weil meine Frau in zartem Gesundheitszustand und ohne Be
dienung war. H annie, das in Frage kommende Mädchen, war
eine Waise und hatte Mühe, eine Stellung zu finden, die zu
ihren neuentdeckten Fähigkeiten paßte. Ich engagierte sie,
obgleich ich mir vollkommen bewußt war, daß das Engagement
im Hinblick auf etwaigen Verlust oder Schaden, den
man nach den früheren Berichten erwarten konnte, ein
Risiko sein mußte. Aber ich hoffte, daß bei vorsichtiger Behandlung
des Mädchens — und diese würde sie bei meiner
Gattin jedenfalls finden — irgendwelche Unannehmlichkeiten
vermieden werden könnten.
Ich fand Hannie intelligent, physisch gut entwickelt, ohne
Abnormitäten, aber zurückhaltend und mißtrauisch, wie es
zu erwarten war.
Sie konnte sich kaum ihrer Eltern erinnern; ihre Mutter
war schon lange gestorben und seit sieben Jahren hatte sie
von ihrem Vater nichts mehr gehört, der vielleicht auch
schon gestorben ist. Sie stand mit keinem Menschen in
vertrauter Beziehung. Es übernahm auch niemand die Verantwortung
für sie. Es schien, als ob dieses arme Mädchen
während der 15 Jahre ihres Lebens nicht die Wärme menschlicher
Freundschaft gekannt hat. So war sie selbständig
herangewachsen und in großer Armut.
„Omnia mea mecum porto" hätte ihre Antwort sein
können, als ich sie nach ihrem Eigentum fragte; aber sie
schwieg aus Scham. In unserm Hause tat sie ihre Pflichten
sehr zufriedenstellend und erwies sich als willig und aufmerksam
. Allmählich begann sie, uns zu vertrauen. Wir
sprachen selten von okkulten Ereignissen vor ihr und hüteten
uns, die okkulten Fähigkeiten zu erwähnen, welche man
ihr zuschrieb, sondern wünschten, daß alles sich ohne Sug-
gestion oder irgendeinen Einfluß von uns entwickeln sollte.
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