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222 Psychische Studien. L. Jahrgang. 5. Heft. (Mai 1923.)
und die Erkenntniskritik herangezogen werden. Dr. Körber bezeichnet
das innere Erleben als eine Subjekt-Objektspannung und nimmt an, daß
alle Ideen nicht in uns entstehen, sondern wie z. B. Schönheit, Liebe,
Gesetz, den Objekten anhaften. Die okkulten Phänomene treten im
Ich auf, wenn das Ich sich in einem besonderen Zustande befindet und
zu einer besonderen Subjekt-Objektspannung kommt. Dieser uns etwas
mystisch erscheinende Zustand tritt im Subjekt nur gelegentlich auf,
nicht jedes Subjekt ist berufen, denn es gehört eine Bewußtseinsalteration
dazu. Dr. Körber unterscheidet das Gewöhnliche und das Ungewöhnliche
, d. h. das mystische okkulte Wissen, das ohne Erfahrung aus
Intuition oder auch aus dem Instinkt hervorgeht. Als sicher festgestellt
sieht er die Erscheinungen der Telepathie und des Hellsehens an, doch
gab Bruck in seinem Vortrage zu, daß die Meinung d?r Hochschullehrer,
die sich mit diesen Dingen befaßt haben, von schärfster Ablehnung über
Zweifel zur bedingten und unbedingten Zustimmung fähre. Ungesichert
sind die Erscheinungen der Fernbewegung und der Materialisation, denen
Dr. Körber sehr skeptisch gegenübersteht.
Bruck berichtete über mit Dr. von Rutkowskv angestellte Versuche
über telepathische Uebertragungen von Zeichnungen, die an vier Personen
vorgenommen wurden, die teils? hypnotisiert, teils im Wachzustande
sich befanden. Es waren im ganzen 108 Zeichnungen, die nur
den Versuchsleitern bekannt waren, die sich meistens in Mappen befanden
, manchmal auch offen auf diesen lagen, aber so, daß die Versuchsperson
nach Ansicht des Vortragenden sie nicht sehen konnte.
Bei komplizierten Zeichnungen spiele die unbewußte Flüstersprache usw.
keine Rolle; ob aber die vorgelegten Zeichnungen diesem Ansprüche genügen
, erscheint uns zweifelhaft, und ebenso, ob in allen Fällen das
Erkennen des Bilde» in der Brille des Versuchsleiters so unmöglich war,
wie Bruck angibt. Aber auch gesetzt den Fall, daß alle Fehlerquellen
ausgeschaltet waren, was .der Außenstehende nicht wissen kann, so
waren neben einigen verblüffend gutgelungenen Uebertragungen die
Fehlschlage doch in der großen Ueberzahl. Besonders interessant erschienen
uns die Versuche, in denen zwei Personen zu gleicher Zeit auf
dasselbe Bild eingestellt wurden. Während der eine die Zeichnung ziemlich
richtig übertrug, schrieb der andere Worte nieder. Und wenn das
eine Mal ein Schlips als Vorlage diente, aber nicht erkannt wurde, und
späterhin ein Paar Strümpfe und in dieser selben Sitzung statt der
Strümpfe der Schlips telepathisch übertragen wird, so wird man bei
nüchtern kritischer Einstellung doch sehr skeptisch über die Realität
der telepathischen Kräfte. Noch kritischer ist die Tatsache zu bewerten
, daß einmal durch Verbalsuggestion aus dem vorgelegten Bilde
ein Flugzeug entstand. Man muß zweifeln, ob hier die Subjekt-Objektspannung
, von der Körber sprach, nicht viel mehr in der Einbildung
vorhanden ist, als daß sie auf Tatsachen beruht. Ohne Einsicht der
Protokolle, die stenographisch aufgenommen werden müssen und alles,
aber auch alles, was während der Untersuchung besprochen wurde und
geschab, enthalten müssen, läßt sich ein sicheres Urteil nicht bilden.
Immerhin ist es ganz gut, wenn solche Versuche angestellt werden, nur
erscheint es uns fraglich, ob es nötig ist, damit schon jetzt an die
Oeffentlichkeit zu treten. Der Schaden, der dadurch bei gläubigen
Gemütern entstehen kann, ist größer, als die Experimentatoren ahnen.
So berichtet in der neuesten Nummer der „Klinischen Wochenschrift"
in einem auch sonst sehr lesenswerten Aufsatze der Berliner Psychiater
Bonhoeffer über seine klinischen Erfahrungen, aus denen hervorgeht,
daß geradezu eine spezifische Form transitorischer psychogener Psychosen
aufzutreten scheint, die sich vor allem im Gefolge des „Geistschreibens
" einstellen. Auch erwähnt Bonhoeffer mehrere andere
Autoren, die von ähnlichen Erfahrungen berichten, z. B., daß ganze
Familien infolge spiritistischer Sitzungen anstaltsbedürftig geworden
sind. San.-Rat Dr. L i 1 i e n t h a 1.
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