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292 Psychische Studien. L. Jahrgang. 6. Heft. (Juni 1923.)
Mediums nimmt die von der Norm abweichenden Organgefühle
, mit anderen Worten das gestörte Sympathikusgleichgewicht
des Kranken „telästhetisch" wahr. Die Tel«
ästhesie ist und bleibt das Primäre. Die Analyse dieser
Wahrnehmung in Form der Diagnose geschieht im Oberbewußtsein
mit Hilfe der somnambulen Selbstbeschau und
wahrscheinlich durch Vermittlung des Sympathikus. Nun
besitzt unsere Großhirnzone normalerweise keine Emp-
findungs- und Begriffskategorien für die Vorgänge des Or-
ganbewußtseins. Die Sprache, die auf der vegetativen Ebene
gesprochen wird, ist gewissermaßen dem Oberbewußtsein
fremd, sie muß ihm erst verdolmetscht werden, und das
geschieht in Form einer seinen Kategorien angepaßten Alle-
gorisierung. Diese erfolgt — um bei der räumlichen Vorstellung
zu bleiben — unterhalb der Bewußtseinsschwelle
in den intellektuellen Schichten des Unterbewußtseins als
eine Art Automatismus und erfordert einen mehr oder weniger
tiefen Trancezustand.
Wir kennen diesen Vorgang der Symbolisierung sowohl
aus den Traumsymbolen der Psychoanalyse — wobei unterbewußte
Komplexe verdolmetscht werden — als auch aus
den Organhalluzinationen bei Schizophrenie, in welchem
Falle Wahrnehmungen aus der vegetativen Zone in Form
optischer Symbole gebracht werden (vgl. Staudenmeyer und
Schwab). Wir wissen auch, wie diese Symptome entweder
durch eine Art innere Entwicklung einen Entfaltungsprozeß
, eine Bewußtmachung, zum Verschwinden gebracht werben
, sei es durch spontane Katharsis, sei es durch die
Psychoanalyse des Arztes. Ueberall, wo Halluzinationen im
äußeren oder inneren Vorstellungsraum auftreten — sei es
bei Neurotikern, Geisteskranken, Träumenden, Ekstatikern,
Medien oder Yoghas — handelt es sich immer um eine
Verständigung verschiedener Bewußtseinsebenen untereinander
mit Hilfe von Symbolen. Die Symbole sind eine Art
Volapük, die für alle Zeiten und Individuen Geltung haben,
genau wie die Zeichensprache, die Taubstummenmimik, die
Symbole der Handlinien und der Handschrift usw.
Mit fortschreitender Katharsis resp. geistiger Entfaltung
hat das Oberbewußtsein die zum unmittelbaren Verständnis
der unterbewußten resp. vegetativen Wahrnehmungen notwendigen
Kategorien entwickelt und bedarf der Symbole
nicht mehr. Die Organwahrnehmung gelangt ohne tJm-
schaltung auf die Allegorie ins Oberbewußtsein, — es ist
nunmehr das eingetreten, was wir Verschiebung der Bewußtseinsschwere
nennen: der höchste Grad psychoanalytischer
, medialer oder yoghatechnischer Entwicklung ist erreicht
. Diese Phase ist dadurch gekennzeichnet, daß mit
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