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Lederer-Eben: Drei Einakter von Johann Petersen. 295
Drei Einakter von Johann Petersen:
„Besessenheit", „Die Perlenkette", „Schicksal".
Aufgeführt in der „Tribüne" zu Charlottenburg.
Der Okkultismus, Stiefkind der Wissenschaft, der Presse, hat den
Sprung auf die Bretter getan, die die Welt bedeuten! Nicht als ne-
bulöser Phantast, der am liebsten hinter der Szene Regie führt, Vorgänge
, Handlungen rätselhaft verschleiernd, wie bei Maeterlinck, nicht
auf der Szene herumspukend als gespenstischer Stimmungs- und Beleuchtungsfaktor
, wie bei vielen der Modernen, — nein — in unverhüllter
, sehr kompakter Form, in lapidarer Bekenntnisfreudigkeit. Zwar
vorerst in der Nachmittagsvorstellung einer neugegründeten Vereinigung
, die sich „Der literarische Bund'* nennt, aber doch mit einem
Erfolge, der vieles für die Verbreitung des Problems in der Bühnenliteratur
erhoffen läßt. — Zum ersten Male, meines Wissens, packt
ein Autor das Problem realistisch an, zwingt es, sich mit Bühnen«
möglichkeit- und Wirksamkeit gründlich auseinanderzusetzen — ein
Experiment nicht ohne Gefahr —, weil die sich auswirkenden Kräfte
nicht in ihren Ursprüngen, nicht in ihrem Sein, nur in ihren Wirkungen
szenisch sichtbar werden können.
Am drohendsten stellt sich dem Verfasser das Problem in dem
ersten der Einakter, 2x2 ist dort fünf — und es tritt jemand auf,
der — nicht auftritt. Der Vorgang* ist kraß: der Spirit eines soeben
gerichteten Raubmörders bemächtigt sich, nachdem er sich vorher
bereits durch unheimliche Kl-opftöne angemeldet, des Körpers einer
„Medialen"; — „nervenkrank" nennen sie die Aerzte der Anstalt, in
der sie zur Kur weilt; und er rächt sich an dem Chefarzt der Anstalt
, der durch sein Attest ausschlaggebend für den Urteilsspruch
wurde, indem er ihn durch die Hand des in Trance befindlichen
Mediums erdolcht — Was da vor, sich geht, steht auf des Messers
Schneide, — ist jeden Augenblick in Gefahr, der Lächerlichkeit zu
verfallen, nicht nur vom Gesichtspunkte des das Problem an sich
als unglaubwürdig verwerfenden« „Untertanenscharfsinns" aus! Uno
doch wirkt der Einakter weder unglaubwürdig, noch lächerlich! Denn
angeborenes Bühnengeschick, eine starke Begabung für dramatische
Wirkung, ballen die psychologische und szenische Entwicklung aufs
knappste zusammen, erzielen dadurch starke Wirkung! Womit aber
die Bühnenforderung, als sehr autokratische Herrscherin, nicht entthront
ist! Mögen „materialisierte" Geister wie bei Shakespeare, oder
bei Voltaire — hier sogar am hellen Mittag —• ihrer schauerlichen
Bühnenwirksamkeit sicher sein, — weil sie sich in der ihnen eigenen
Form „herabbemühen", — ein Spirit, der durch ein Medium sichtbar
wird, ist auf der Szene unmöglich! Und ich kann der Besessenheitsdramatik
keine Bühnenkarriere prophezeien! —
Der zweite, der dritte Einakter, befassen sich mit einem intellektuellen
Phänomen: Hellseherische Prophezeiung soll darin zur Bühnenwahrheit
werden. Aber sie wird es nur in der „Perlenkette". In
dem drittten Einakter: „Schicksal", steht das Problem, die Prophezeiung
einer Zigieunerin, die sich nach vielen Jahren unter seltsamsten
Umständen: „wenn Fledermäuse in Scharen um den Kirchturm
fliegen", „wenn die Uhr dreizehn schlägt" Wort für Wort zu tragischem
Geschehen erfüllt, weder mit den Charakteren noch den Handlungen
der Personen in irgendeiner inneren Beziehung, ist nur rein äußerlich,
ein „Zufallswille" quasi, ein totes Fatum, daran geknüpft. - Die Freiheit
des Willens erscheint abgeschnürt, der Mensch ist „Phomme machine",
der das tote Räderwerk abschnurren muß, das ihm eingebaut, im
Leben leben, von dessen vorgezeichnetem Pfad es kein Abschwenken
gibt. Das ganze bedeutet für die Bühne: Erstarrung.
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