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Lambert: Psychometrie
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darüber möglich, daß sehr viele der Angaben von Frl. H. telepathisch
, d. h. durch seelisches Erfühlen, aus den Anwesenden
oder, wo diese über den Gegenstand nicht orientiert sind, aus
derjenigen fernen Person gewonnen werden, welche die nötigen
Kenntnisse besitzt. Dies»e( letztere Pierson kann das Medium
telepathisch, wenn auch oft nur über mehrere Zwischenstationen
meist erreichen, da fast immer einer der Anwesenden weiß, an
welche Person man sich um* Auskunft über den vorgelegten
Gegenstand zu wenden hat. Damit ist theoretisch die Möglichkeit
gegeben, daß das Medium telepathisch aus dieser Person,
seine Angaben gewinnt. Wie schwierig sich die Deutung bei
dieser Annahme jedoch gestalten kann, zeige ich an folgendem
Versuch Böhms.
Böhm händigte dem Vater des Frl. H. einen Stein, den ihm
Dr. Händel ohne jede Mitteilung übergeben hatte, mit dem Ersuchen
ein, ihn seiner Tochter zu geben. Frl. H. schrieb unter
anderem: „Ich spüre am Arm wie ein Ziehen nach unten, ich
höre Wasser rauschen. Einen Strick sehe ich, als wenn jemand
über einen Strick nicht hinüber könnte, als wenn es abgesperrt
wäre." Böhm, der während des Versuchs nicht anwesend war,
schickte das Ergebnis an Dr. Händel, der hierzu bemerkte: „Ich
ging am Kanal in Nürnberg. Die glatte Oberfläche eines am
Weg liegenden Steines veranlaßte mich, ihn aufzuheben; bei
seiner Betrachtung mußte ich einem Pferd ausweichen, das in
der bekannten Weise an einem langen Seil ein Kanalschiff zog."
Wenn wir den Versuch unter Ausschluß jeglichen direkten Einflusses
des Steines auf das Ergebnis rein telepathisch erklären
wollen, so müssen wir annehmen, daß Frl. H. entweder mündlich
durch ihren Vater, oder telepathisch aus diesem erfuhr,
daß der Gegenstand ihm von Böhm übergeben worden war;
durch telepathische Beziehung zu letzterem kam sie dann auch
in seelische Beziehung zu Dr. Händel, dessen Geist so der auf
rein telepathischen Umwegen erreichte Ursprung der Angaben
Frl. H.s wäre. Nach dieser Auffassung hätte das Experiment
vielleicht auch gelingen können, wenn man — da der Stein bei
dem Experiment unerkennbar eingewickelt übergeben wurde
— Frl. H. einfach gesagt hätte, Dr. Böhm bittet Sie, sich in Gedanken
auf etwas, das ihn in diesen Tagen beschäftigt, zu konzentrieren
; auch so könnte sich dieselbe indirekte telepathische
Beziehung zu Dr. Händel ergeben. Gewiß ist diese Hypothese
sehr gekünstelt, doch ist sie schwer zu widerlegen und so scheint
es nicht immöglich, jede Bedeutung des Gegenstandes sogar
für das Gelingen dieses Versuchs zu bestreiten und den Stein
höchstens als eine Erleichterung der Konzentration des Mediums
aufzufassen. Wie mir scheint, lassen sich auch alle ver-
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