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340 Psychische Studien. L. Jahrgang. 7. Heft. (Juli 1923.)
teilweise spiritistisch gefärbten Zirkels angestellt und zeigte infolgedessen'
eine ausgesprochen spiritistische Einstellung der Versuchsperson, die in
normalem Wachbewußtsein diesem Gebiet ablehnend gegenübersteht.
Anhänge! der spiritistischen Hypothese werden geneigt sein, dieses
Faktum zu gunsten ihrer Lehre auszulegen. Mich persönlich hat
gerade jenes Experiment gegen den Spiritismus — dem ich ohne jede
Affektbetonung neutral gegenüberstehe — mißtrauisch gemacht, weil
es zeigt, wie leicht die zu halluzinatorischer Symbolisierung und zu
Perscnifikationer neigende Psyche Somnamhuler de** unbewußten Suggestion
des Milieus anheimfällt und die medialen Wahrnehmungen
in die Form kleidet, die von der Umgebung gewünscht oder erwartet
wird. Diese Suggestion, die ich sowohl unbewußt als auch telepathisch
und eben darum so besonders wirksam nennen möchte, dürfte kaum
von mir, dem Versuchsleiter, ausgegangen sein, denn mir lag nur
daran, die Beschreibung und Lokalisation eines Gehirnprozesses zu
ei halten, und selbstredend lag mir damals die Theorie spiritistisch-
theosopbischer oder überhaupt mediumistischer Besessenheit genau so
fern wie htute.
Ich glaube vielmehr, daß die Suggestion von der bei dem Experiment
nicht anwesenden Mutter und von dtr Grundeinstellung gewisser
Sitzungsteilnehmer ausging, die aber nicht über den Fall orientiert worden
waren, also auch keine vorgefaßte Meinung haben konnten, daß vielleicht
eine Art Besessenheit vorliege.
Gerade deshalb erscheint mir dieser Fall so lehrreich, weil
er zeigt, wie verwischt die Konturen und Grenzen des Bewußtseins
der somnambulen Psyche sind, wie sie mit fremden Bewußtseinsinhalten
zusammenfließen, wie sich das Medium, ohne es zu wissen und
zu wollen, mit anderen Wesenheiten identifiziert, sich ihrer Wissensinhalte
, ihrer Anschauungen, ihrer seelischen Einstellung, ihrer Kenntnisse
und Fähigkeiten bedient und diese telepathische Freibeuterei einerseits
in bestem Glauben als eigenes geistiges Produkt von sich gibt,
anderseits in halluzinatorischer Form als „hellgesehene" spiritistische
Wahrheiten in ihren Vorstellungsraum projiziert.
Die Beschreibung der sog. „Besessenheit" stimmt so unheimlich mit
der dem Medium völlig unbekannten offenbarungsspiritistischen Leire von
den „Elementarwesen" überein, daß sie nur aus feinem fremden Gehirn geschöpft
sein kann. Keineswegs aber scheint sie mir die Richtigkeit
dieser Lehre darzutun, im Gegenteil, gerade ein derartiger Fall wirft
ein helles Licht auf den mutmaßlich universelltelepathischen und hallu-
zinatoiisch-symbolhaften Entstehungsmechanismus offenbarungsspiriiisti-
scher und theosophischer Gesichte und der darauf basierenden Theorie.
Man wende mir nicht ein, daß ja viele Medien und Hellseher —
auch wenn sie von Theorien keine Ahnung haben — übereinstimmend
dasselbe aussagen. Gerade hier zeigt sich die telepathische Infizier-
barkeit der Medien, die im Falle des Spiritismus und verwandter
Richtungen zu einer Art geistiger Epidemie zu rühren scheint.
Dieser Gedanke wird besonders einleuchtend, wenn man — wie
in der Einleitung angeführt — ganz allgemein die Halluzination als eine
Symbolsprache zur Verständigung zwischen verschiedenen Bewußtseinsebenen
auffaßt und annimmt — wie Freud bezüglich der Traumsymbole
bewies — daß die meisten Symbole ganz unabhängig voneinander
bei der Mehrzahl der Individuen die gleiche Bedeutung haben. (Ich
kann nicht genug betonen, daß gerade die Psychanalyse berufen erscheint,
Licht in das Chaos und Dunkel der mediumistischen Phänomene zu
tragen, und wie aussichtsreich für alle Teile es sein dürfte, die medialen
Phänomene mit den Neurosen und Psychosen nicht etwa zu identifizieren
sondern in Analogie zu setzen und ihre Uebergänge und
Abgrenzungen festzulegen.)
Für den Experimentator bedeutet gerade dieses Experiment eine
ernste Warnung, weil es dokumentiert, wie leicht selbst hervorragend
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