http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1923/0349
348 Psychische Studien. L. Jahrgang. 8. Heft. (August 1923.) *
Gefühl der inneren Harmonie („Metta" — Nächstenliebe, Liebe
zu allen Wesen).
2. Abminderung des Wachbewußtseins und der Sinnestätigkeit,
vollkommene Ausschaltung des eigenen Denkens und Folgems
(Verstandestätigkeit) und ruhige ausgeglichene Gemütsstimmung
beim Erfühlenden (A).
3. Keine gespannte Aufmerksamkeit und Konzentration auf
bestimmte Einzelheiten, die zu erfahren gewünscht werden, vielmehr
möglichste Passivität und Nichtvorhandensein der Anschauung
, daß ein außersinnliches Erfühlen unmöglich sei bei
B und etwaigen Anwesenden in einer Versuchssitzung.
Man erkennt deutlich, daß das Zustandekommen eines Einfühlaktes
nicht vom Willen abhängig ist sondern andere
psychische Triebkräfte ihn auslösen.
Wenn die Person A ihre Gedanken vorübergehend auf Körpergestalt
, Gesichtszüge, Name, Aufenthaltsort, Eigentum oder sonstige
mit der Person B in irgendeiner Beziehung stehende Dinge
absichtlich einstellt, wird dies ebenso wie starke Gemütserregungen
, besonders Angst bei B das Bewußtwerden oder eine andere
Auswirkung des Erfühlten bei A erleichtern.
Einzelne Menschen besitzen in erhöhtem Grade die Fähigkeit,
das Erfühlte anderen mitzuteilen oder (für sie selbst meist
unbewußt) sonstwie kenntlich werden zu lassen. Versuche zeigten
, daß bei stark abgedämpftem und langsam wiedererwachendem
Bewußtsein das durch Erfühltes beeinflußte
Verhalten mitunter stundenlang nachhielt
oder in Zwischenräumen von Tagen wiederkehrt
Bei einem mir bekannten Fräulein R. wiederholten sich die einmal
erfühlten Eigenarten einer Person jahrelang in ieder Sitzung,
bei der sie sich in Trance befand. In einem anderen Falle gelang
es dem mit mir anwesenden Arzte nur mit Mühe, den haftenden
Einfluß des fremden „Geistes" durch zweckentsprechende
Suggestion zu beseitigen. Demnach entstehen höchstwahrscheinlich
die echten Fälle von „Besessenheit", bei denen eine hysterische
autosuggestive Ursache bzw. Persönlichkeitsspaltung ausgeschlossen
werden kann, dadurch, daß spontan „Erfühltes
" (Vorstellungen, Gesinnungen, Leidenschaften
) in irgendeiner Gestaltung zu lange
haften bleibt.
Die Richtigkeit dieser Ansicht dürfte folgendes Vorkommnis
bestätigen: Ein hiesiges „Medium", welches das Erfühlte häufig
in dramatischen Gesten wie ein Schauspieler kundgab, gebärde te
sich in einer nicht sachgemäß geleiteten Sitzung von Spiritisten
plötzlich wie toll; es verzerrte das Gesicht, schlich lauernd im
Zimmer umher, richtete haß- und wuterfüllte Blicke auf die An-
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1923/0349