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Böhm: Antithese zum Vererbungsproblem.
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aber auch von Vater und Mutter die Eigenarten, welchen verborgene
Erinnerungen starker Erlebnisse zugrunde liegen. Solcne
Erinnerungen können auch von wiederholten gefühlsbetonten
Sinnes eindrücken herrühren, die Vater
und Mutter während der Jugend im Elternhaus
erhielten. Gerade die Eindrücke bis zu den Jahren der Geschlechtsreife
sind am tiefsten und nachhaltigsten und werden
deshalb erfahrungsgemäß am leichtesten erfühlt. Auffallende
Charaktereigenschaften, Wesenseigentüinlichkeiten, Neigungen,
Gewohnheiten, Fähigkeiten usw. des Großvaters und der Großmutter
mütterlicher- und väterlicherseits können auf das Kind
durch außersinnliches Erfühlen, aus dem elterlichen Erinnerungs«
schätze übergeben und erhalten bleiben. Vielleicht erklärt sich
jetzt auch das „Überspringen" einer Generation sowie die Verschiedenartigkeit
des Wesens bei Geschwistern, die große Altersunterschiede
aufweisen, da in der Zeit zwischen den Geburt an
neue Erlebnisse bei den Eltern auftraten. Es werden die tiefsten
Eindrücke von der Elternseite her erfühlt, zu der die größte
Liebe besteht. Je stärker die Sinnes- und Verstandestätigkeit im
Kinde zunimmt, desto mehr tritt durchschnittlich das außersinnliche
Erfühlen zurück.
Aehnlich wie bei der Vererbung körperlicher Eigenschaften
beobachtet man auch im Seelischen das Auftreten rein großelterlicher
Eigenarten, und zwar a^ich ohne daß der Enkel mit den
Großeltern zusammengekommen ist. Bei mehreren Nachkommen
in der zweiten Kindesstufe (Generation) zeigen die einzelnen
Individuen eine Aehnlichkeit mit dem einen oder anderen der
beiden Großeltern oder mit den Eltern (vgl. Mendelsches Gesetz,;.
Nach meiner Auffassung werden die seelischen
Eigenschaften nicht, wie die bisherige
materialistisch eingestellte Schule annahm,
durch ein, wohl niemals auffindbares — X in der
Ei - oder Samenzelle vererbt, sondern der Ueber-
gang erfolgt von Seele zu Seele. „Erworbenes
wird weitergegeben." Ob Erfühltes in einem Individuum
vollkommen latent bleiben und von dessen Nachkommen auf
gleiche unmittelbare Art übernommen, bei diesen erst sich auswirken
kann, müßte weiteren Erwägungen vorbehalten bleiben
(Atavismus?).
In der JZeit des Beischlafs Liebender, der nicht
lediglich zur Befriedigung der Wollust geschieht, sind ebenfalls
die obengenannten Bedingungen vorhanden. Nachdem die
gegenseitige Konzentration ihren Höhepunkt erreicht hat und die
sexuelle Erregung abklingt, schwindet das Bewußtsein, Sinnesreize
sind wenig wirksam und das verstandesmäßige Denken
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