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Böhm: Antithese zum Vererbungsproblem. 359
wird, so kann die Sinnestätigkeit nicht das
Wesentliche sein. Daher drängt sich mir die Vermutung
auf, daß die Sinnesfunktion u. a. eine Art Hemmungseinrichtung
darstellt, um uns nur dessen bewußt werden zu lassen, was in
das Ursprungsgebdet der Sinnesreize, z. B. der Licht- und Schallwellen
fällt, während das Erkennen eines Gegenstandes oder
Vorganges stets unter Eingreifen in den Erinnerungsschatz rein
seelisch unmittelbar erfolgt. Das umfassendere Geschehen
wäre demnach das „Seelische Erfühlen", das
begrenzte, das „Sinnliche Umfassen", das sog. „Unbewußte
sinnliche Wahrnehmen" scheint mir der
Übergang zwischen beiden Vorgängen zu sein. Durch die Sinnestätigkeit
würde für gewöhnlich das Bewußtwerden der Außenwelt
reguliert. Beistehen Störungen in den Sinneszentren, wie
bei Erkrankungen bestimmter Gehirnteile, so arbeitet der Hem-
mungsapparat nicht mehr richtig, das Bewußtsein wird mit „Erfühltem
" aus eigenem oder fremden Erinnerungsschatze überschüttet
und der Geist verwirrt Bei „Medien" scheint jene
Hemmungsvorrichtung auf einer kindlichen Stufe stehen geblieben
zu sein bzw. durch den Willen teilweise außer Betrieb gesetzt
werden zu können.
Ein Mensch, der die Fähigkeit des unmittelbaren seelischen
Erfühlens nicht hätte, würde trotz mittelbarer Einwirkimg der
Sinnesreize vermutlich nichts Erkennen. Umgekehrt sind Fälle
bekannt, in denen seit der Jugendzeit vollständig erblindete
Personen ohne Zuhilfenahme des Tast-, Gehörs- oder Geruchssinns
ihre Umgebung erkennen und beschreiben können.
Ich halte bei dieser ständigen Existenz des
seelischen Erfühlens die Annahme von einer
Umformung physikalischer Licht- oder Schallwellen
in eine psychische Vorstellung — eines
der größten RätseJ — für überflüssig.
Zwei weitere Erscheinungen ibeim Erfühlen sind beachtenswert
, weil sie auch bei anderen seelischen Geschehnissen vorkommen
, nämlich das symbolische Umgestalten (das
Versinnbildlichen, Vergleichen), das im Traum, bei der Psychoanalyse
und in der Phantasie des Kindes eine Rolle spielt.
(Bekannt ist auch die große Vorliebe der Kinder für Märchen,
welche ebenfalls in Sinnbildern verschiedene Begebenheiten des
täglichen Lebens malen.)
Zweitens findet man bei dem lauten Sprechen im Traum, dem
unverständlichen Kauderwelsch, dem Sichversprechen und den
ersten Sprachversuchen mancher Kinder die gleiche Umstellung
von Buchstaben, Silben und Worten, wie Ijei
den Äußerungen mancher noch ungeübter einfühlender Ver-
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