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362 Psychische Studien. L. Jahrgang. 8. Heft. (August 1923.)
II» Als eine Dame eine Vase vor Frl. H. B. auf den Usch
stellte und sie bat, sieh in diese einzufühlen, gab sie die besondere
Blumenart an, die schon im der Vase aufbewahrt worden
war; welche typischen Gemütsverstimmungen in der Zeit des
Kaufes der Vase die Dame (Eigentümerin) durchmachte, daß sie
viel weinte; daß Familienfeste in dem Raum »stattfanden, wo sie
stand; daß sie ihren Aufenthaltsort mehrfach gewechselt; euie
Zeitlang im Hinteigrunde gestanden habe; daß einmal im Zimmer
nebenan eine weibliche Person gesungen habe; daß sie, ob ihrer
drolligen Form von einem seltenen Gast besonders kritisiert
worden sei; daß in ihrer Nähe Backwerk, 1 annenzweige und
schmunzelnde Gesichter zu sehen wareni u. a. m. Alles ist zutreffend
nach Eingeständnis der Dame.
III. Man vergleiche hierzu folgenden Versuch, den wir mit
Frl. H. S. 1919 vornahmen.
Ort: Ein sehr altes Landhaus. Zeit: Nachts H12 Uhr. Anwesend
: Außer Frl. H. noch zwei Damen, Dr. G., Dr. S., Dr. W.
und der Verfasser in dam ersten, westlich gelegenen von drei
ineinandergehenden Zimmern des ersten Stockes; die Ver-
bindxmgstüren sind geöffnet. H. bekam am Schlüsse der Sitzung
zur Beurteilung noch eine Postkaite in die Hand. Nachdem sie
mehrere Charaktereigenschaften genannt, sieht sie plötzlich
unter eigentümlich freudigem Lachen rasch in das anstoßenae
Zimmer (sie sagte hinterher, es habe sie dort hingezogen), tritt
an den Tisch, sagt, sie rieche Rosen und betastet dann längere
Zeit einen altertümlichen Schreibtisch und die darauf befindliche
Uhr. Ihr Blick fällt durch die offene Tür in das dritte
Zimmer. Ihre Augen sind w~eit geöffnet, ihre Gesichtszüge ver-
ziehen sich schmerzlich und sie fängt an, bitterlich zu weinen,
daß ihr die Tränen nur so herabrollten. Unserer Aufforderung
in das dritte Zimmer zu gehen, versucht sie wohl Folge zu leisten,
unter der Tür angekommen, fühlt sie sich jedoch wie von unsichtbarer
Hand zurückgeschoben und sie sagt: es schauere sie,
da könne sie nicht hinein; sie beginnt zu zittern und das Schluoh-
zen wird noch stärker. Wir nehmen ihr die Postkarte aus der
Hand, worauf sie sich rasch wieder beruhigt. Frl. H. sagt, das
sei nicht ihr eigenes Weinen und Lachen gewesen; es sei ihr
vorgekommen, als ob eine andere Persönlichkeit in ihr stecke.
Nach Aussage des mitanwesenden Hausherrn war die Post-
karte von seiner vor einem Jabre gestorbenen Mutter geschrieben
. In dem Mittelziromer habe die Mutter viele frohe Stunden
im Kreise der Familie verlebt, im dritten Zimmer aber viel
Schmerz und Trauer, mehrere Geburten, den Tod zweier Kinder
usw. durchgemacht; ihre Iieblingsblumen seien Rosen gewesen
.
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