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388 Psychische Studien. L. Jahrgang. 8. Heft (August 1923).
Med.: Es hat Anfälle, mir fällt das Wort Trübungen ein. Wie
wenn es nicht „es" wäre, sondern jemand anders. Wenn man das
Wort Besessenheit anwenden könnte — tatsächlich glaube ich ja nicht
an Besessenheit im buchstäblichen Sinne — dann würde es in diesem
Falle passen. (Frau F. hat tatsächlich zum ersten Male in ihrem
Leben die Diagnose Besessenheit gestellt.) Ich sehe immer das Wort
„Loslösen", wie wenn sich im Gehirn etwas in zwei Teile teilt. Und
dann sehe ich das so richtig sich sehr häßlich winden. Es kommt
mir vor wie ein Kobold! Man könnte Mitleid damit haben, und doch
hat man ein so sonderbares Gefühl wie von etwas Bösartigem. Ich
möchte das Kind packen und ordentlich durchschütteln und vor allem
den Kopf einrenken und es auf beide Beine stellen.
Ich habe das Gefühl, wie wenn man Gewalt anwenden müßte. Es
schreit so unartikuliert. (Kopiert das Herumwerfen und katzenartige
Schreien und Fauchen des Kindes.)
(Bu hierher keine Zwischenfrage.)
Kr.: Was steckt in dem Kind?
Med.: Etwas ganz Böses. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen
vor lauter Zorn*), Ich habe das Geiühl, wie wenn man dem
einen Tritt ins Gesäß geben müßte, daß es beim Gehirn herausspringt.
Das Hirn klafft auseinander. Es ist «sine echte Besessenheit.
K r.: Das? Kind war bis zum zehnten Monat normal.
Med.: Di ist etwas ausgeknaxt im Nervensystem, im Hinterhirn
(Gegend des rechten proc. mast.). Es ist, als wenn da jemand
dran gerissen hätte. Es hat aber niemand wirkliches daran gerissen.
Aber ich komme von Besessenheit nicht los« Ich weiß nicht, ob man
das nichi gesund machen könnte. Man braucht Gewaltmittel. Etwas,
das Schmerz macht.
Kr.: Handelt es sich um eine Apoplexie, eine Embolie oder
einen Verödungsherd?
Med.: Ich sehe, wie wenn eine Hand eingegriffen hätte und einen
fürchterlichen Knick da gemacht hätte. Die Linie ist kaput! (Sie kopiert
die Verzerrung des Facialis und die eigenartigen Kopfverrenkungen.)
Kr. Wie sieht denn der Kobold aus?
Med.: Es ist etwas Weißes, Blutleeres, das so elektrisch zuckt.
So quallig. Wenn man mit einem Messer hineinsticht, dann würde es
auseinanderplatzen.
Kr.: Ist es ein bewußtes Wesen?
M ed.: Es hat keine Menschenform. Es ist quallig, es ist die
personifizierte Bosheit und Gemeinheit. Ich sehe das Weiße so direktionslos
in der Welt herumfuhrwerken wie eine Rakete. Nun ist das
Kind krank, eine widerstandslose Stelle im Gehirn ist entstanden,
da ist das Weiße wie ein Blitz hineingefahren.
Kr.: Therapie?
Med.: Erst ansehen, dann durch Knebelung so starke Reaktion
auslösen, bis es ausgetobt hat. Man muß e$ im Anfall bändigen
wie ein wildes Tier. Für feine Einflüsse ist das Böse nicht zugängig.
Man muß ihm die Bewegungsfähigkeit nehmen. Es darf sich nicht winden
, und wenn ihm die Knochen zerbrechen. Es ist ein Ringkampf, wer
der Stärkere ist.
Erst nach dieser Sitzung stellte es sich auf Befragen heraus,
daß die Mutter des Kindes glaubte, es sei „verhext" worden, und
daß sie dieserhalb schon „Medien" konsultiert hatte.
Daß die Wiedergabe des Krankheitsfalles durch das Medium gerade
in ihrer urwüchsigen Drastik in vollem Maße zutreffend ist, wird auch
der größte Skeptiker nicht verkennen können. Für den Augenzeugen
wirkte der Vorgang in mimischer und stimmlicher Hinsicht als eine
r) Anm. Das Kind hatte starken Speichelfluß.
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