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Albert: Okkultismus und Wertethik. 417
vornherein eine — in der Einleitung schon »angedeutete —
grundlegende Unterscheidung treffen. Wir müssen
diejenigen, denen ihr okkultes Können angeboren ist, von denen
sondern, welche sich dies durch Schulung selbst erworben haben,
also die geborenen Okkultisten von gewordenen.
Zunächst zu den e r s t e r e n ! Hier ist es Tatsache, daß die einseitige
besondere Beschaffenheit des Phantasie- und Gefühlslebens
vielfach von intellektueller Minderwertigkeit begleitet ist.
Solchen Menschen fehlt meist jegliche kritische Stellungnahme
ihren Erlebnissen gegenüber, sie sind abergläubisch, furchtsam
und bigott. Dazu kommt noch völlige moralische Indifferenz.
Skrupellos machen sie aus ihren Fähigkeiten ein Geschäft, und
rasch sind sie bereit, da, wo sie nichts „sehen", durch eine Lüge
nachzuhelfen. Als einziger Wert gilt ihnen das Nützliche. Daß
es Ausnahmen gibt, ist gewiß, und von diesen wird noch zu reden
sein. Anders steht es mit den gewordenen Okkultisten.
Diese besitzen den Trieb zur Erkenntnis und glauben, dadurch,
daß sie sich neue psychische Organe zu schaffen trachten, der
Wahrheit nahezukommen. Sie arbeiten also an sich selber, an
ihrer „Vervollkommnung" — dies Wort hier cum grano salis verwendet
. Die Schriften Rudolf Steiners, des Führers der
deutschen Anthroposophen, worin er methodische Anleitungen für
die okkulte Schulung gibt, sind bekannt, und von seinen Schülern
haben manche ihre «diesbezüglichen Bemühungen geschildert und
von ihren Erfolgen berichtet. Recht aufschlußreich für unser
Problem ist ein Aufsatz von Michael Bauer, betitelt „Geheimschulung
nach Steiner" (in der Zeitschrift „Die Tat", Nov. 1921,
S. 590 ff.). Zweierlei, sagt dort der Verfasser, soll forlgebildet
werden: „Die willkürliche Aufmerksamkeit und die liebevolle
Hingabe an die Weltwirklichkeit", und zwar werden die Uebungen
für beide Zwecke gleichzeitig aufgenommen. Denn man soll keine
übersinnlichen Erkenntnisse suchen, „wenn man nicht gewillt
oder in der Lage ist, sie in den Dienst einer hohen
Moral zu stellen." .Durch jahrelanges Ueben gelangt der
Schüler auf eine Wahrnehmungsstufe, „wo die Moralgesetze mit
den Naturgesetzen zusammenfallen", er erkennt jedoch hier, daß
er sieh selber im Wege steht, daß ihn „sein im Selbstsinn be
fangenes Wesen" hindert, ganz in jenen höheren Sphären heimisch
zu werden. Daher gelte es, „Abstand von sich zu gewinnen".
Am besten eigne sich derjenige zum Geheimschüler, „der herz-«
hafte Anteilnahme am tätigen und leidenden Leben" und „offenen
Blick für die Schwierigkeiten desselben" zeige. Durch die
Schulung tritt nun ein anderes, tieferes Selbst „in Beziehung zu
ebenfalls tieferen Schichten der Welt", der Mensch fühlt sich „wie
durch tausend pulsende Nabelschnüre mit allen Teilen und Tiefen
der Welt vereinigt". Dann dürfe man nicht mehr fragen, „ob
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