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Kindborg: Das Wesen der Telepathie.
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an einem blinden Pferde widerlegt. Wie ich von privater Seite
gehört und jetzt auch ans dem Aufsatz von Professor Gruber in
München (Maiheft der „Psych. Stud." 1922) ersehen habe, steht
Herr Krall nunmehr selbst auf dam Standpunkte der Telepathie.
Manchen1 Forschern wird es, wie ich aus der Literatur ersehe,
schwer, eine telepathische Einwirkung von Mensch auf Tier anzunehmen
, weil gewöhnlich die Telepathie als etwas angesehen
wird, das den Menschen gewissermaßen über sich selbst erhebt
und der Gottheit näher bringt. Diese Ansicht teile ich jedoch
nicht, sondern halte im Gegenteil die Telepathie für einen Rückschlag
, für einen Atavismus. Denn ich halte den telepathischen
Gedankenaustausch für (das gewöhnliche Verständigungs-
mittel der Tiere. Schon vielfach hat man sich den Kopf zerbrochen
, auf welche Weise die Tiere, namentlich die niederen,
sich miteinander verständigen. Bei den höheren läßt sich ja
eine gewisse Fonm der Lautgebung feststellen. Immerhin ist
sie bei den meisten nicht allzu groß. Sie gleicht, wie ich an
anderer Stelle auseinandergesetzt habe, der geringen Modulationsfähigkeit
der Monaphasischen, das heißt solcher Menschen,
die infolge Krankheit die Bildung der zusammengesetzten Sprache
verloren haben und nur immer ein Wort oder einen Satz in verschiedener
Ausdrucksform wiederholen können. Warum haben
nun die Tiere keine artikulierte Sprache, auch diejenigen nicht,
die, wie manche Vögel, einen dafür geeigneten Kehlkopf haben?
Keinesfalls aus Mangel an Ausdrucksbedürfnis. Eine solche
Behauptung kann nur auf Grund völliger Unkenntnis des Tierlebens
aufgestellt werden. Sondern die Antwort kann nur sein:
weil sie die Sprache nicht brauchen, da ihnen die unmittelbare
telepathische Verständigung die Sprache ersetzt. Denn die geringe
Möglichkeit der Lautgebung kann unter keinen Umständen
die oft blitzschnelle Verständigung der Herdentiere erklären.
Auch nicht die Übereinkunft, durch die sich eine Herde ein bestimmtes
Leittier wählt. Nur in manchen Fällen, zum Beispiel
bei allmählichem Vor-, oder Zurückgehen des Leittieres kann
Suggesstion als Erklärung für das Nachfolgen der übrigen Tiere
herangezogen werden. In anderen Fällen, vor allem bei der
ununterbrochenen Verständigung der Zugvögel in ihren Evolu>
tionen ist an die Nachahmung eines) Beispiels nicht zu denken;
sondern eine solche ist wohl nur auf telepathischem Wege zu
erklären. Die Vogelgmippe handelt dann genau so wie die
Menschengruppe, die gleichsinnig einen Tiisch in Bewegung
setzt. Auch das gemeinsame Handeln schwarmbildender Insekten
muß man sich in dieser Weise erklären, worauf schon der
Zoologe Prof. Gruber in den „Psych. Stud/4 1922, Seite 162, anspielt
. Man hat bekanntlich bei den Ameisen eine Verständigung
der Tiere untereinander durch Berührung mit den Fühlern fest«
gestellt und hierin eine Zeichensprache nach Art des Morse-
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